Ilsa ist 1948 auf der Suche nach einer Wohnung in Bonn, da sie bald ihre Stelle als Sekretärin des neu gegründeten Parlamentarischen Rates antreten wird. Für einige Monate wird sie an der Ausarbeitung des Grundgesetzes mitwirken. Sie wohnt in einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen Frauen und lernt bei ihrer Arbeit Elisabeth Selbert kennen, deren erklärte Mission es ist, die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Grundgesetz zu verankern. Ilsa schließt sich dieser Mission an, muss aber gleichzeitig versuchen, ihr Leben auf eine solide Basis zu stellen – nicht nur für sich selbst. Die Zerstörungen des Krieges und das Erbe der Nazis machen es ihr nicht leicht, existenzielle Sicherheit zu finden, und als Frau hat sie zusätzlich mit Problemen und Ressentiments zu kämpfen. Und dann tritt auch noch ein Mann in ihr Leben, bei dem Ilsa nicht so recht weiß, woran sie ist. Ilsa muss lernen, mutig zu sein, nach vorne zu schauen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen …
Der Roman hat mir gut gefallen. Er ist flüssig geschrieben, die Figuren sind glaubwürdig und die Handlung ist vielschichtig. Ilsas Arbeit im Parlamentarischen Rat und an der Seite von Elisabeth Selbert wechselt sich ab mit ihren privaten Problemen, eine Romanze entwickelt sich und auch Nebenfiguren kommen zu Wort und erleben ihre eigene Geschichte. In den einzelnen Handlungssträngen bleiben der Krieg und seine Folgen allgegenwärtig. Und auch das Thema (fehlende) Gleichberechtigung taucht immer wieder auf und wird von verschiedenen Seiten beleuchtet, mal durch Beispiele von Sexismus oder patriarchalischen Denkmustern, mal durch die politische Überzeugungsarbeit von Elizabeth Selbert und Ilsa.
Deike Wichmanns Schreibstil empfinde ich als ziemlich immersiv, ich fühlte mich durch ihre Beschreibungen der Schauplätze, durch die Sprache ihrer Figuren und durch die behandelten Themen direkt in die damalige Zeit hineinversetzt. Meiner Meinung nach gelingt es ihr, das Leben im westlichen Nachkriegsdeutschland authentisch zu beschreiben: Aufbruchstimmung und Lebenslust stehen neben Zerstörung und Trauma, Mangel trifft auf Improvisation, verhärtete Ideologien aus der Nazizeit sind ebenso präsent wie Reue und der Wille zur Demokratie. Obwohl der Roman eine positive Wendung nimmt und einen hoffnungsvollen, stellenweise sogar humorvollen Ton hat, klammert Deike Wichmann die dunklen Seiten nicht aus. Mir ist durch das Buch (das zugegebenermaßen mein erstes Buch über diese Zeit war) klar geworden, wie viel riskanter das Leben damals war, wie sehr es sich von unserer heutigen Welt unterscheidet. Diese „Schere“, diese Fremdartigkeit spürbar zu machen, zeichnet für mich gute historische Fiktion aus. Man merkt, dass die Autorin viel über ihre Epoche recherchiert hat.
Andere Rezensionen bemängeln, dass die Arbeit des Parlaments und die Entstehung des Grundgesetzes zu kurz kommen. Es ist richtig, dass die politischen Ereignisse nicht die Hauptrolle spielen. Dennoch geben sie dem Roman Tiefe, denn Ilsas Erlebnisse stehen beispielhaft für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die Ungerechtigkeiten, mit denen Frauen zu kämpfen haben. Ihre Geschichte zeigt, wie richtig und entscheidend der Kampf von Elisabeth Selbert damals war. Die historische Bedeutung bleibt nicht abstrakt, sondern wird persönlich erfahrbar.
Fazit:
„Die Unbeirrbaren“ ist die stimmige und einfühlsame Geschichte einer jungen Frau in der westdeutschen Nachkriegszeit, die nach dem erlebten Trauma endlich Sicherheit finden will – und sich dafür mit den Nachwirkungen des Dritten Reiches und des Krieges, aber auch mit patriarchalen Strukturen und Sexismus auseinandersetzen muss. Die Einbettung in die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes verleiht dem Roman historisches Gewicht und Relevanz.
Die Politik bildet allerdings nur den Hintergrund für Ilsas persönliche Geschichte. Wer eine detaillierte Schilderung parlamentarischer Abläufe oder politischer Konflikte erwartet, könnte enttäuscht werden. Wer aber diese schwierige und gleichzeitig chancenreiche Nachkriegs-Epoche durch Ilsas Augen miterleben möchte, wer zusehen möchte, wie sie nicht nur ihr Leben in den Griff bekommt, sondern auch Mitwirkende eines Schlüsselmoments der (Feminismus-)Geschichte wird, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.