Cover des Buches Bauplan für eine Seele (ISBN: 9783499611933)
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Rezension zu Bauplan für eine Seele von Dietrich Dörner

Ist die Seele ein Produkt des Körpers?

von PhilippWehrli vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Die Seele ist ein Produkt des Körpers. Den Beweis dazu muss nicht jeder lesen. Aber die, die es lauthals abstreiten schon.

Rezension

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PhilippWehrlivor 7 Jahren
Die Idee ist einfach und stammt bereits vom Vater des Computers, von Alan Turing: Wenn eine geistige oder seelische Eigenschaft eine beobachtbare Auswirkung hat, ist diese Eigenschaft programmierbar.

Da werden nun viele Leute widersprechen und meiner Erfahrung nach widersprechen auch Leute, die es eigentlich besser wissen müssen. Deshalb ist es sehr verdienstvoll, dass Dietrich Dörner im Detail darlegt, wie man ein sehr kompliziertes Lebewesen wie den Menschen programmieren könnte. Und bevor nun lautstarker Protest sich erhebt, welche komplizierte Eigenschaft sich ganz bestimmt nicht programmieren lasse, schauen wir doch mal hin, was Dörner denn tut.

Der Trick besteht darin, eben nicht mit der kompliziertesten Eigenschaft zu beginnen, die ‚ganz sicher nicht programmierbar ist’. Dörner beginnt mit einem ganz einfachen Regelkreis, z. B. einem Kühlschrank, der kühlt, bis ein eingebautes Thermometer unter eine gewisse Temperatur fällt, dann stellt die Kühlung ab, bis es wieder zu warm ist. Der Regelkreis hat die Aufgabe, einen bestimmten Sollwert zu erreichen und zu erhalten.

Kompliziertere Aufgaben lassen sich mit sogenannten Kaskadenregelungen lösen, bei denen verschiedene Steuervariablen nacheinander eingeschaltet werden. Eine solche Regelung kann leicht mit Lernprozessen kombiniert werden. Die Kaskade darf dazu nicht eine starre Reihenfolge haben, sondern die Reihenfolge wird ab und zu zufällig geändert. Wenn sich aber mit einer bestimmten Reihenfolge der Sollwert sehr rasch und präzise erreichen lässt, ‚merkt’ sich die Maschine diese Reihenfolge und weicht danach weniger stark davon ab.

Nun kann der Sollwert immer komplizierter gemacht werden, indem verschiedene Sensoren hinzugefügt werden, z. B. auch Schmerzsensoren. Die Maschine würde den Schmerz natürlich nicht erleben. Aber sie würde alles tun, um ihn zu vermeiden.

Auf dieser Stufe orientiert sich Dörner an Neuronen. Man kann ja einiges von der Natur lernen, wenn man ein Gehirn nachbauen will. Neuronen machen eigentlich nichts, was man nicht mit einer Maschine simulieren könnte. Dass sie untereinander feiner verknüpft sind, als wir dies schaffen würden, ist ein technisches Detail. Dörner geht es immer nur um die Frage, ob es grundsätzlich einen Grund zur Annahme gibt, Neuronen können nicht nachgebaut werden. Wie schwierig die Konstruktion in der Praxis wäre, interessiert ihn nicht.

Am Beispiel der Grabwespe zeigt er, dass raffiniert erscheinendes Verhalten auch das Resultat einer sehr einfachen Kette von Reflexen sein kann. Natürlich kann auch so eine Kette von Reflexen durchaus programmiert werden. Es dauert nicht lange, bis man Dörners Vorgehensweise verstanden hat. Auf jeder Stufe überlegt er, welche Fähigkeit seine Maschine ein bisschen intelligenter machen würde. Woran würden wir sehen, dass eine Maschine ein bisschen intelligenter ist als die, die wir schon haben? – Dazu scheut er sich nicht, in der Natur zu schauen, was für Verhaltensweisen denn Tiere zeigen. Manchmal wissen wir sogar schon, wie diese Verhaltensweisen in der Natur verwirklicht werden. Wenn der Schritt klein genug ist, ist es nicht schwierig, ihn zu programmieren. Ist der Schritt zu gross, muss ich ihn in noch kleinere Schritte zerlegen.

Natürlich sind enorm viele Schritte nötig, um von einem Kühlschrank zu menschlichem Verhalten zu kommen. Aber das macht Dörners Buch nur dicker, nicht schwieriger zu verstehen.

Es ist verdienstvoll, dass der Autor sich die Mühe gemacht hat, alle die unzähligen kleinen Schritte so sorgfältig auszuformulieren. Hätte er es nicht getan, so würde bestimmt jemand kommen und behaupten, bei irgendeinem der übersprungenen Schritte würde das nicht gehen. Nun kann man nachlesen, wie es geht. Sehr spannend ist das aber nicht, weil man sehr bald die Schritte auch selber nachvollziehen kann.

Spannend wird es erst wieder auf Seite 563, wenn Dörner auf die Gefühle zu sprechen kommt. Natürlich sollten diese Gefühle mehr sein, als das ‚Gefühl’ des Kühlschranks, der zu warm ist, und der nun wieder kühlt, um den Sollwert zu erreichen. Damit wir von Gefühlen sprechen können, müssten wir über das Modell der Sollwerte hinaus kommen. Wenn mir zu heiss ist, fühle ich, dass mir zu heiss ist. Dieses Gefühl ist doch mehr als die Reaktion auf einen Sollwert.

Dieses Kapitel scheint mir unbefriedigend. Wieder orientiert sich Dörner an der Natur und befragt die Psychologen, was denn ein Gefühl sei. Nur findet er diesmal keine brauchbare Antwort. Was meiner Ansicht daran liegt, dass er die falsche Frage stellt. Die richtige Frage wäre: Wozu ist ein Gefühl in der Evolution gut? Was ist der Vorteil, wenn ich auf Hitze nicht nur reagiere, indem ich z. B. ins kühle Wasser springe, sondern wenn ich die Hitze tatsächlich spüre und als unerträglich empfinde?

Der Punkt, der in Dörners Argumentation fehlt ist: Gefühle machen mich vertrauenswürdiger, weil sie meinen Handlungsspielraum einschränken. Das klingt paradox. Aber viele unserer Beziehungen hängen von Vertrauen ab, egal ob es nun um Liebes- oder um Geschäftsbeziehungen geht. Über all diesen Beziehungen hängt als Damoklesschwert die Frage: Wird mich der Partner über den Tisch ziehen, wenn er ein besseres Geschäft machen oder eine günstigere Partnerschaft eingehen könnte? – Wenn meine Frau mich wirklich liebt, wird sie mich nicht für einen anderen verlassen. Wenn ich weiss, dass der Geschäftspartner ein schlechtes Gefühl hat, wenn er mich hintergeht, kann ich viel eher vertrauen. Selbst eine Drohung ist überzeugender, wenn der Terrorist offensichtlich so wütend ist, dass er sogar sich selbst schädigen würde, um sie wahr zu machen. Gerade weil Terroristen irrational handeln, sind sie glaubwürdig.

Woran aber sieht man, dass ein Gefühl wirklich echt gefühlt ist? – Echt ist ein Gefühl, wenn es so teuer ist, dass es sich nicht lohnt, das Gefühl zu simulieren. Theoretisch könnte ein guter Schauspieler das Gefühl nachahmen. Aber niemand würde dies tun, weil es zu viel kostet. Diesen Gedanken erkläre ich im Detail in meinem Buch ‚Das Universum, das Ich und der liebe Gott’. Ich denke, bewusste Gefühle treten nur bei Lebewesen auf, die in sozialen Gesellschaften leben.

Das bewusste Denken hängt nach Dörner mit der Sprache zusammen. „Die Fähigkeit zum Sprechen bedeutet folglich, dass Psi (so nennt der Autor die Maschine) nicht nur in der Lage ist, sich zu unterhalten, sondern zugleich auch ein Werkzeug zur eigenständigen Umwandlung seiner Gedächtnisstrukturen gewinnt...“ Dadurch, dass die Maschine Selbstgespräche führen und sich selber Fragen stellen kann, wird ihr Denken effizienter. Wenn die Maschine sich Fragen über sich selbst stellt, tritt nach Dörner als Nebenprodukt das Bewusstsein auf.

Auch hier vermisse ich einen Verweis auf unsere soziale Natur. Menschen können sehr komplexe Gedanken nonverbal denken. Oft erfordert es zusätzliche Anstrengung, das Resultat des Denkens in Sprache zu fassen. Dies habe ich bereits an anderer Stelle ausgeführt: https://www.lovelybooks.de/autor/Gerhard-Roth/Aus-Sicht-des-Gehirns-143966510-w/rezension/1486344740/

Meiner Ansicht nach hat das Bewusstsein –wie die Gefühle- einen weiteren wichtigen Effekt: Wenn ich Beziehungen eingehe oder Verträge abschliesse, will ich dies nicht mit einer kalt berechnenden Maschine tun. Ich will, dass mein Gesprächspartner sich verantwortlich fühlt und sich echt schlecht fühlt, wenn er mein Vertrauen bricht. Dies geht am besten, wenn er sich tatsächlich verantwortlich fühlt. Der entscheidende Punkt ist: Auch die Gefühle und das Bewusstsein haben einen von aussen beobachtbaren Effekt. Das bedeutet nach Alan Turing, dass wir sie programmieren können.

Dietrich Dörner hat eine schöne Arbeit geschrieben und den Beweis geführt, dass der menschliche Geist zumindest über weite Strecken programmierbar ist. Die Seele ist ein Produkt des Körpers. Den Beweis dazu muss nicht jeder lesen. Aber die, die es lauthals abstreiten, schon.
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