Domenico Müllensiefen

 4,5 Sterne bei 21 Bewertungen

Lebenslauf

Domenico Müllensiefen wurde 1987 in Magdeburg geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er auf einem Bauernhof in der Altmark. Mit 16 lernte er bei der Deutschen Telekom. Danach Anstellung als Techniker in Leipzig. Ab 2011 Studium und Master am Deutschen Literaturinstitut. Domenico Müllensiefen arbeitete viele Jahre als Bauleiter und ist seit kurzem freiberuflicher Schriftsteller. Er lebt in Leipzig. Für seinen Debütroman »Aus unseren Feuern« wurde er 2023 für den Fontane-Literaturpreis nominiert und mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis sowie dem Klopstock-Förderpreis ausgezeichnet.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Domenico Müllensiefen

Cover des Buches Aus unseren Feuern (ISBN: 9783985680818)

Aus unseren Feuern

(13)
Erschienen am 22.02.2023
Cover des Buches Schnall dich an, es geht los (ISBN: 9783985681976)

Schnall dich an, es geht los

(8)
Erscheint am 08.10.2025

Neue Rezensionen zu Domenico Müllensiefen

Cover des Buches Schnall dich an, es geht los (ISBN: 9783985681976)
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Rezension zu "Schnall dich an, es geht los" von Domenico Müllensiefen

Gwhynwhyfar
Nachwenderoman, der ein bisschen die Provinzseele im Osten aufblättert

«Er erzählte mir davon, wie er mit meinem Vater zur Dorfdisco gegangen war, wie dort Neue Deutsche Welle lief und die ganze Scheune bei dem Lied ‹Ich will Spaß› von Markus den Hitlergruß zeigte, als die Zeile lief: ‹Deutschland, Deutschland, hörst du mich?› Dirk sagte, dass dieses Lied ihn tief berührt hätte, weil es alles das ausdrückte, was in diesem Teil von Deutschland so schlecht lief. Man habe nicht Gas geben können, man habe auch keinen Spaß haben können, tatsächlich habe er sich gefragt, ob er von Deutschland gehört werde, ob es da hinter der Mauer Menschen gebe, die sich für sein Schicksal und das seiner Freunde interessieren würden. Er habe es nicht gewusst, aber ihm sei klar gewesen, dass er für den Staat, in dem er lebte, nur als sozialistischer Vorzeigebürger etwas wert war. Doch er wollte nichts mit dem Sozialismus zu tun haben, und so kam es, dass er schon weit vor 89 ein richtiger Nazi gewesen sei. Nur deshalb.»


Früher begann in Jeetzenbeck die Freiheit. Provinz Anfang der Nullerjahre in der Altmark: hier war die erste Station auf der Reise in die weite Welt: nach Amerika. Damals der Traum: Amerika – heute ist die Zugverbindung nach Altenwedel eingestellt und die Einfamilienhäuser am Ortsrand verfallen. Marcel, der nie hier rausgekommen ist, arbeitet als Drehspießverkäufer, will nicht aufhören zu träumen. Von Steffi, seiner großen Liebe, von einer heilen Familie, von einem besseren Leben. Steffi ist gleich nach der Schule abgehauen. Irgendwann war auch sein Vater weg, der Lkw-Fahrer, der ihm die Welt zeigen wollte.


«‹Nur an meinem Geburtstag wird ein anderes Bild gezeigt. Da werden halbtote Bürgerrechtler aus ihren Särgen geholt, mit Anstecknadeln versehen, und dann dürfen die noch ein paar warme Worte in ein Mikrofon sprechen, solange es nicht zu viele sind und sie keine Forderungen stellten, und das auch nur, wenn man sichergehen kann, dass die Querulanten von damals auch dem heutigen System brav nach dem Mund reden. Wolf Biermann singt dann noch ein Lied, beschimpft ein paar Politiker der Linkspartei, die damals noch nichts zu melden hatten oder gar nicht geboren waren, und im nächsten Bericht wird darauf hingewiesen, dass Grünpfeil und Sandmann den Weg in den Westen geschafft haben, und dann ist wieder mal gut. Gute Nacht, Dunkeldeurschland.›»


Der Vater hat die Mutter sitzengelassen, mit Marcel und den Hypotheken für das Haus. Steffis Vater ist Kubaner, der hätte längst abhauen können, aber der liebt seine Frau und ist geblieben, die eben nicht nach Kuba wollte. Sein Traum, ein Restaurant … immerhin er gibt Marcel den Job in der Dönerbude – die ja so nicht heißen darf: Drehspieß. Hier kommen keine 10 Leute am Tag vorbei, für die meisten gib es das Essen gratis. Und Marcel hat seit Kindertagen einen besten Freund, der säuft, der noch nie gearbeitet hat, das auch in Zukunft nicht vor hat. Marcels kleine Schwester ist als Jugendliche mit dem Auto gegen die Friedhofsmauer gerast – tot. Ein trostloses Kaff, dass schon vor der Wende von Nazis durchsifft war – nichts los hier – aber es geht immer weiter. Allerdings in einem Osten ohne Zukunft; zumindest für die, die zurückgeblieben sind. 


«Er trug schwere braune Stiefel, hatte eine schwarze Cargohose an, deren Seitentaschen ausgebeult waren, als wäre die Hose eine Reithose aus den dreißiger Jahren. Um seinen großen Bauch spannte sich ein schwarzes, ärmelloses Shirt. Darüber trug er eine Lederweste, auf der nicht wie damals Aufnäher mit Amerikaflaggen oder Symbole der Route 66 waren. Nein. Jetzt waren es eine dreibeinige Triskele, eingefasst in einen roten Kreis, auf dem in Runenschrift »Meine Ehre heißt Treue« stand. Darüber ein großer rechteckiger Aufnäher mit der Aufschrift ‹Born in DDR›, … Ich war froh, dass ich für solche Klamotten nie anfällig gewesen war. Als ich sechs Jahre alt war, hatte es in der Schule langsam angefangen. Erst waren es Lonsdale-Pullover, die vereinzelt auf dem Hof zu sehen waren. Dann trugen die ersten meiner Klassenkameraden Bomberjacken, New-Balance-Turnschuhe und später Springerstiefel. Schließlich schoren sie sich die Haare kurz.»


Die Figuren und ihre Dialoge sind fantastisch authentisch – eigentlich passiert nichts, aber die Dialoge und die kurzen Rückblicke lassen tief blicken.  «… das, was uns als Aufschwung verkauft wurde, war schon nicht mehr Stillstand, es war eher Abbau. Abbau Ost.» Bildungsmisere, Arbeitslosigkeit, Umschulung, Nazis, die schon immer da waren, die sich jetzt erst richtig in Szene setzen, der Faschismus macht sich breit – die Hoffnung stirbt zuletzt … nichts wird hier in den Vordergrund gestellt, es passiert einfach. Ein brüchiges Land, brüchige Biografien, Fußball, Bier, stinkende Männer, markige Sprüche, Pausenclowns. Man könnte meinen, das wäre Ossi-Klischee. Aber Domenico Müllensiefen ist aus dieser Gegend, er beobachtet sehr fein, mit viel Humor – und er kann erzählen. Er beschreibt eine ländliche, abgehängte Gesellschaft, Menschen, die immer wieder enttäuscht werden. «Wir waren die erste Generation, die im vereinigten Deutschland aufwuchs, wir waren die erste Generation, über die es nichts mehr zu berichten gab und für die sich niemand interessierte.» Nach der Wende die markigen Sprüche der Väter, alles wird anders, wir fahren nach Amerika, kaufen ein Haus … und gibt es nur schlecht bezahlte Jobs, der Kredit für das Haus belastet. Urlaub? Es reicht es nicht mal für den Balaton. Und wenn legal nichts geht, kommt man auf die Idee, es illegal zu probieren … Der Autor bringt einen wichtigen Satz: «… Altenwedel tatsächlich abgehängt sein, liegt es nicht an den Menschen, die hier leben. Es liegt an den Menschen, die es verwalten.» Und genau das ist das Problem. Wenn es vor Ort nichts mehr gibt, was man zum Leben benötigt, einen Arzt, einen Supermarkt, usw., dann werden die Menschen stinksauer. Marcels Weg wird sich ändern, am Ende: Schnall dich an, es geht los … Von den Nullern bis in die Gegenwartsebene, eine Entwicklung der Provinz. Klasse geschrieben, lässt das Buch nicht los bis zu letzten Seite. Authentisch, gut beobachtet und gefühlvoll, werden komplexe Themen einfach so in den Plot eingebunden, ohne erhobenen Zeigefinger, auch ohne fies draufzuzeigen. Ein spannender, humorvoller Gesellschaftsroman, Comming-of-age, Nachwenderoman, der ein bisschen die Provinzseele im Osten aufblättert. Empfehlung!


Domenico Müllensiefen wurde 1987 in Magdeburg geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er auf einem Bauernhof in der Altmark. Mit 16 lernte er bei der Deutschen Telekom. Danach Anstellung als Techniker in Leipzig. Ab 2011 Studium und Master am Deutschen Literaturinstitut. Nebenbei arbeitete er als Bestatter. Er war Mitherausgeber der Anthologie Tippgemeinschaft, lebt in Leipzig und arbeitet als Bauleiter. «Aus unseren Feuern» ist sein erster Roman.

Cover des Buches Schnall dich an, es geht los (ISBN: 9783985681266)
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Rezension zu "Schnall dich an, es geht los" von Domenico Müllensiefen

Co_Winterstein
Domenico Müllensiefens 2. Roman!

Domenico Müllensiefen zweiter und mit Spannung erwarteter Roman "Schnall dich an, es geht los" handelt von Marcel Körtge, der in der ostdeutschen Provinz, in der Altmark lebt. Marcel ist Drehspießverkäufer (nicht Döner!) und Zeitungsausträger, verbringt seine Zeit biertrinkend mit seinem Freund Pascal und im Fussballstadium ... bis plötzlich seine alte Liebe Steffi mit ihrem Sohn wieder im Dorf auftaucht.

In Rückblicken erleben wir die Kindheit und Jugend von Marcel, Pascal und Steffi und lernen Vanessa kennen, Marcels Schwester, die 14jährig Suizid beging. Marcel, nach der 9. Klasse mit 15 Jahren abgeschult, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, seine große Liebe Steffi verließ damals ohne Abschied ihre Familie, ihn und das Dorf. Pascal, alkoholsüchtig, wurde von seinem rechtsradikalen Vater komplett vernachlässigt und missachtet.

Es sind Hauptfiguren, die keine großen Träume haben, keine Ideen und keine Zukunft für sich sehen. Müllensiefens Protagonist*innen sind ebenso wie in seinem ersten Buch vielschichtig und interessant angelegt, sie haben Tiefe und sind authentisch. Besonders die Rückblicke auf die Nachwendejahre zeigen das Porträt einer desillusionierten und alleingelassenen Dorfbevölkerung / Gesellschaft.

Doch neben all der Resignation gibt es zum Ende auch Hoffnung. Unerwartetes passiert. #nospoiler

Ein kraftvoller Text, der auch in der Sprache dem Milieu angepasst ist. Der eigentümliche Humor, der mir schon in Müllensiefens "Aus unseren Feuern" so gut gefallen hat, findet sich auch in diesem Roman. 

Leseempfehlung für dieses #indiebook aus dem Kanon Verlag 🐒

Cover des Buches Schnall dich an, es geht los (ISBN: 9783985681266)
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Rezension zu "Schnall dich an, es geht los" von Domenico Müllensiefen

JacqueRoe
Eine Geschichte mit Tiefe im leichten Mäntelchen

Schnall dich an, es geht los

…aber mit dem Anschnallen, haben es die Protagonist:innen in diesem Roman nicht so. Und wie schon in “Aus unseren Feuern” gibt es mindestens einen Totalschaden. Aber ist man, wenn man in so einem Nest wie Jeetzenbeck hängen geblieben ist, nicht eh schon ein Totalausfall, egal ob mit oder ohne Crash? 

Im normalen Leben mache ich um Typen wie Marcel und Pascal, erst recht wie Ralf und Dirk einen ganz weiten Bogen. Der Loser und der Alki, der Dorfnazi und sein Handlanger. Trotzdem schafft es der Autor (wieder) mir genau diese Art Charaktere nahe zu bringen, was jetzt nicht in jedem Fall zu Sympathie führt, aber ich schaue hin.

Der Roman präsentiert eine Sozialstudie einer abgehängten ostdeutschen Region (leider nur eine von vielen ) ohne Studie zu sein. Stattdessen ist all dies in einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit eingewoben in eine Geschichte, die Laune macht. Es hat mich nicht mal gestört, dass es u.a. immer wieder um Fußball geht, womit ich eigentlich gar nichts anfangen kann. Ich habe viel gelacht, ein paar dicke Tränen verdrückt und mich auch ein bisschen in meiner eigenen Überheblichkeit erwischt gefühlt. Vielleicht das wichtigste - es gibt Hoffnung; aber um die zu finden, muss man schon genauer hinschauen. 

Und es geht auch um eine Generation, die sich nicht gesehen fühlt oder tatsächlich oft übersehen wird: “Wir waren die erste Generation, die im vereinigten Deutschland aufivuchs, wir waren die erste Generation, über die es nichts mehr zu berichten gab und für die sich niemand interessierte. Weder unsere Eltern noch die Schule noch die Gesellschaft. Die Nazis in den Neunzigern kamen wenigstens noch ins Fernsehen, bis das dann langweilig wurde. Aber wir waren die, die allen scheißegal waren.” S. 266

Eine Geschichte, die in all ihrer augenzwinkernden Leichtigkeit bei mir einen dicken Knoten in der Magengegend hinterlässt; wie auch immer Müllensiefen dieses Kunststück hinbekommen hat. Auch die Form der beiden sich auf einen Höhepunkt hinbewegenden Zeitstränge kann ich einfach nur als gelungen bezeichnen.

Ach und das Ende lieb ich ja ganz besonders. Neugierig? Da hilft nur selber lesen! 


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