Cover des Buches Der Milliardär aus dem Nichts (ISBN: 9783938017302)
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Rezension zu Der Milliardär aus dem Nichts von Dominic Midgley

Abramowitsch im Dunkeln

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Da hat einer wirklich aus dem Nichts innerhalb eines Jahrzehnts mehr als 10 Milliarden gemacht. Das macht uns voreingenommen, und wir denken sofort, dass man das nur mit kriminellen Methoden schaffen kann. Dieses Buch soll uns darüber Auskunft geben, ob unser Vorurteil, das wir aus den Maßstäben unserer Gesellschaft und unserer Bedingungen gewonnen haben, richtig ist. Die ersten zwei Kapitel befassen sich mit der Kindheit und Jugend des Herrn Abramowitsch. Es offenbart sich dabei bereits das Problem der Autoren. Sie müssen aus sehr wenigen tatsächlichen Informationen viel Aufhebens machen, um zu verdecken, dass sie von den wirklich entscheidenden Augenblicken im Leben des Roman Abramowitsch überhaupt nichts wissen. Viele Fragen stehen im Raum. Welche Fähigkeiten besitzt Abramowitsch, die ihn gegenüber anderen auszeichnen, die es nicht so weit gebracht haben? War sein Handeln wirklich kriminell oder hat er nur clever die politische und wirtschaftliche Umbruchsituation ausgenutzt? War er nur zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort oder hat sein Werdegang nichts oder wenig mit dem Zufall zu tun? In den ersten beiden Kapiteln lernen wir, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Oligarchen offenbar kein Ego-Problem hat, sich auf Menschen geschickt einstellen kann und vorausschauend handelt. Wie ist er nun aber an seine Milliarden gekommen? Nachdem private Unternehmen unter Gorbatschow erlaubt wurden, kam der sehr junge Abramowitsch mit einigen seiner Gründungen offenbar zu einem gewissen Grundkapital. Wie er das gemacht hat erfahren wir nur in Andeutungen. Dann kam der erste entscheidende Schritt. Abramowitsch erwarb eine Ausfuhrlizenz für heimisches Öl. Wir lernen leider nicht, was er mit dieser Lizenz angestellt hat. Zu vermuten ist allerdings, dass er bereits mit dem Ölhandel zum mehrfachen Dollar-Millionär wurde. Im Jahr 1995 kam es dann zum großen Deal. Die Privatisierung der Staatsindustrie kam nicht voran, die Staatskassen waren leer und Jelzin wollte erneut zum Präsidenten gewählt werden. Für einen Kredit von 1,8 Milliarden Dollar erwarben einige Dutzend reiche Russen (unter ihnen Abramowitsch) von der Regierung das Recht auf den Kauf von Minderheitsanteilen an 44 russischen Staatsunternehmen. Diese Anteile konnten die Kreditgeber anschließend zu Schleuderpreisen erwerben. Interessant an diesen beiden Kapiteln ist, dass sie mehr über Beresowski, einen Geschäftspartner von Abramowitsch, und dessen Weg berichten als über Abramowitsch selber. Wir erfahren lediglich, dass sich das Vermögen des Herrn Abramowitsch in dieser kurzen Zeit durch die verkappte Schenkung vervielfachte. Nun hatte Abramowitsch einen Goldesel, denn er konnte die zukünftige Produktion der von ihm und Beresowski kontrollierten Sibneft als Pfand für ausländische Kredite nutzen. Auf diese Weise gelang es ihm weitere Gesellschaften unter Kontrolle zu nehmen. Im 5. Kapitel erläutern uns die Autoren dann an mehreren teilweise miserabel erklärten Beispielen, wie Abramowitsch und Beresowski in einem nahezu rechtsfreien Raum Minderheitsaktionäre von Sibneft und deren Tochterunternehmen schädigten. Irgendwie kriegen wir beim Lesen das Gefühl, dass hier tatsächlich jede Menge kriminelle Energie im Spiel war. Die verschwommene Darstellung dieser Prozesse durch die Autoren, verhindert allerdings die klare Sicht. Auf ähnliche Art wird das Engagement von Abramowitsch in Tschukotka geschildert. Auch hier bleiben die wirklichen Motive der Handelnden und ihr tatsächliches Vorgehen im Dunkeln.

Unter Putin änderte sich die Lage der Oligarchen dramatisch. Sie verloren ihren politischen Einfluss fast vollständig. Einige landeten im Knast, andere mussten einen Teil ihres Vermögens auf Staatsunternehmen zurückübertragen und das Land verlassen. Abramowitsch aber blieb verschont. Warum das so ist, können uns die Autoren nicht so richtig erklären. Es immer wieder dasselbe: Wir lesen und lesen, aber wir erfahren überall so gut wie nichts über Roman Abramowitsch. Die Autoren folgen der Zeitlinie und berichten über die wirtschaftlichen und politischen Ereignisse der Jahre, in denen Abramowitsch sein Vermögen aufbaute. Er selber kommt aber immer nur am Rande vor.

Mit den Kapiteln 10 bis 13 verfallen die Autoren dann gänzlich in den Stil bunter Zeitschriften. Jetzt geht es um Chelsea und das, was sie sich unter dem Privatleben von Roman Abramowitsch vorstellen. Seitenlange langweilige Abhandlungen über die Lage englischer Fußballmannschaften und die Befindlichkeiten irgendwelcher Fußballmacher bringen den Leser zum Gähnen. Wir erfahren, welche komplizierte Logistik nötig ist, um Herrn Abramowitsch zu Fußballspielen zu transportieren und welche Yachten mit welcher Länge und Ausstattung er hat. Das wollten wir doch schon immer wissen. Der Inhalt von Kapitel 14 ist ein kurzes Interview mit Beresowski, aus dem wir erfahren, dass Abramowitsch ihn wie auch immer gezwungen hat, ihm seinen Sibneft-Anteil zu einem unfairen Preis abzutreten. Und wir erfahren, was wir sowieso schon wissen, nämlich, dass Abramowitsch viel geschickter als Beresowski hinter den Kulissen agiert. Näheres ist nicht bekannt. Punkt. Der Rest des Buches dreht sich um Jukos und den aufsässigen Chodorkowski, mit dem Putin ein abschreckendes Beispiel schuf. So wie Chodorkowski seine Reichtümer halblegal erworb, so verlor er sie auch wieder. Auch hier ist Abramowitsch viel weitsichtiger. Er legt sich nicht mit dem jeweils herrschenden Clan an und schafft seine Reichtümer systematisch ins Ausland.

Fazit: Der politisch oder wirtschaftlich interessierte Leser, der gerne hinter die Fassade schauen möchte, begreift recht schnell, wie miserabel dieses Buch geschrieben ist. Hier wird wiedergekäut, was man halt so erfahren hat oder was man alles in diesem oder jenem Zusammenhang so weiß. Leider ist das beim Kernthema sehr wenig.

Bedauerlicherweise haben schnellschreibende "Enthüller" das Buch verfasst. Dadurch fehlt es ihm an gedanklicher Ordnung und Tiefe. Weder wird dem Menschen Abramowitsch genüge getan, noch wird sein Vorgehen wirklich deutlich. Der Informationsgehalt dieses Werkes lässt sich auf zehn Seiten reduzieren. Wenn eine Handvoll Leute fast das gesamte Volksvermögen dieses Riesenreiches kontrolliert und diese Leute im Kommunismus nicht wesentlich reicher waren als alle anderen, dann muss etwas gewaltig schief gelaufen sein. In der Konsequenz kann dies weder für die wirtschaftliche noch die politische Entwicklung Russlands von Vorteil sein. Wenigstens in Ansätzen wird das nach dem Lesen dieses eher langweiligen Buches verständlich.
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