Der Salafismus ist in aller Munde - nicht erst seit seine terroristische Ausprägung auch in der französischen Hauptstadt Einkehr gehalten hat.
Schon zuvor war der gesellschaftspolitische Diskurs über Muslime in Europa vom Einfluss so genannter "Hassprediger" wie Pierre Vogel geprägt, die eine besonders radikale Spielart des Islam repräsentieren.
Gleichzeitig beschlagnahmten jedoch Stimmen diese Diskussion für sich, denen nicht daran gelegen war, zu differenzieren statt zu pauschalisieren – und so einen wertvollen Beitrag zu der Frage zu leisten, wie das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren möglich ist.
Ein junger Mann, der diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden könnte, ist der gebürtige Mönchengladbacher Dominic Musa Schmitz mit seinem autobiographischen Sachbuch, das seit Mitte Februar erhältlich ist.
Schmitz selbst nahm vor zehn Jahren – als Siebzehnjähriger – den Islam an. Dabei entwickelte er sich innerhalb kürzester Zeit „vom Kiffer zum strenggläubigen Konvertiten“, wie auch das erste Kapitel heißt. Diesen Pfad leitet Schmitz zunächst mit einer kurzen Skizze der ersten Jahre seines Lebens ein – von der traumatischen Scheidung seiner Eltern, über das Gefühl, ein Außenseiter zu sein bis hin zum Dasein als Jugendlicher, der zwar mit Ach und Krach den Realschulabschluss schafft, jedoch danach ohne jegliche Zukunftsperspektive dasteht.
Dabei betont Schmitz selbst, dass seine Biographie zwar die Blaupause für den Werdegang vieler Jugendlicher darstellt, die den Salafismus als Lebensweg für sich entdecken, macht dabei jedoch klar, dass eine Verallgemeinerung nicht in seinem Sinne ist.
Verharmlosen will er die Ideologie aber auch nicht, wie der darauffolgende Part seines Buches beweist: Darin schildert Schmitz eindrücklich, wie er schnell Teil der Bewegung rund um Sven Lau wird, der ihm bereits bei seinem allerersten Moscheebesuch über den Weg läuft. Heute wird Lau vorgeworfen, Jugendliche dazu zu motivieren, in den Krieg zu ziehen, und auch schon damals fällt er als Sektierer in einer marokkanisch geprägten Gemeinde auf.
Schmitz beschreibt fesselnd, wie er selbst – wie von einer Droge – durch den Rausch seines Glaubens betäubt und dadurch willig wird, alles zu glauben, was ihm charismatische Persönlichkeiten wie Lau erzählen. Er saugt Bücher von Gelehrten auf, ändert seinen gesamten Lebensstil und wird ein prägender Teil der neu gegründeten Moschee Laus, die schließlich auch Prediger wie den oben bereits angesprochenen Pierre Vogel zu sich einlädt. Die Gruppierung grenzt sich ab durch eine besonders fundamentale Auslegung des Islam, dem Salafismus, deren historische Grundlegung sowie übergeordnete Glaubenssätze Schmitz sehr verständlich darzulegen weiß.
Auch seine eigene Rolle in der Bewegung macht er dabei deutlich. So wurde er schnell Drahtzieher der digitalen Verbreitung des Salafismus und legte damit die Grundlagen für die heute wohl gängigste Form, mit der neue Anhänger geworben werden.
Kurzum: Dominic Musa Schmitz war mittendrin in der Szene – und gerade dadurch wird sein Buch besonders authentisch. Die Begeisterung junger Muslime für eine radikale Interpretation des Korans wird nachvollziehbar – und gleichzeitig umso schockierender.
Insbesondere Schmitz‘ eigene, Schritt für Schritt aufkeimenden Zweifel für die ihn umgebende Welt machen deutlich, welche wahren Absichten die Ideologie und ihre deutschen Vertreter tatsächlich verfolgen. Das Streben nach Macht und Einfluss ist dabei wohl besonders hervorzuheben.
In diesem Zusammenhang berichtet Schmitz von bigotten Machtspielchen zwischen bekannten Predigern und zeigt auf, dass ihr eigenes, von ihm am eigenen Leibe erfahrenes Verhalten nicht den eigenen Ansprüchen gerecht wird.
Zusammen mit dem Scheitern seiner ersten Ehe – ein Thema, das ebenfalls einen breiten Raum einnimmt – beginnt sich Schmitz also vom Salafismus zu trennen. Ebenso wie sein Weg hinein in die Ideologie wird auch der Pfad hinaus sehr ausführlich vermittelt – einschließlich aller Rückschritte und auch Gefahren, die mit der Loslösung von jeder Sekte einhergehen. Die verbale sowie körperliche Bedrohung durch ehemalige Weggefährten bildet dabei den Rahmen des gesamten Berichtes.
Zu Beginn meiner Rezension habe ich bereits in den Raum geworfen, dass Dominic Musa Schmitz für mich eine Person darstellt, die viel beizutragen hat zum Thema „Muslime in Deutschland“, aber auch zur Frage, was junge, in Deutschland sozialisierte Jungen und Mädchen zum IS treibt - und was wir als gesamte Gesellschaft dagegen tun können. Diesem Anspruch wird sein Erstlingswerk ohne Zweifel gerecht. Wie bereits mein recht ausführlicher Abriss des Inhalts zeigt, werden viele wichtige Punkte angesprochen - doch dabei wird auch mein größter Kritikpunkt an dem Buch deutlich. Die Themenfülle ist wenig strukturiert; Schmitz springt oft von einer Anekdote zur nächsten, anstatt einen Komplex stringent durchzuarbeiten. Zwar habe ich persönlich das Buch als sehr packend empfunden und es daher an einem Stück durchgelesen. Ein sehr umgangssprachlicher Stil tat sein Übriges. Doch ich bin der Meinung, dass Leser_innen, die den Bericht zwischenzeitlich aus der Hand nehmen, Schwierigkeiten dabei haben könnten, wieder hineinzugeraten in den ohne Zweifel fesselnden Strudel der Darstellung.
Auch Personen, die sich dem Thema des Salafismus theologisch und/oder soziologisch nähern wollen, werden vom Buch enttäuscht sein.
"Ich war ein Salafist" ist und bleibt ein sehr subjektiv gefärbtes, aber dadurch auch besonders aufschlussreiches Sachbuch, dessen Lektüre ich als sehr interessant empfand. Schmitz, der gläubiger Muslim geblieben ist, zeigt eine differenzierte Sichtweise, schreckt aber nicht davor zurück, seine Glaubensbrüder stark zu kritisieren - ein mehr als mutiger Schritt!
Leider muss ich jedoch zwei Sterne abziehen, da ich mir doch eine strukturiertere Herangehensweise erhofft hatte, und somit nach der letzten Seite das Gefühl blieb, dass ich gern noch so viel mehr über Schmitz' Lebensweg und Dasein als Salafist erfahren hätte. Auch seine heutigen Positionen zu bestimmten religiösen Schlüsselthemen hätten mich sehr interessiert.
Doch gerade als Einstieg für eine tiefer gehende Beschäftigung mit der Erscheinung des Salafismus ist es bestens geeignet und wird von mir guten Gewissens weiterempfohlen.