Rezension zu "Madoffs Traum" von Dominique Manotti
Der 1938 in Brooklyn, New York, geborene Bernard Lawrence Madoff war ein angesehener Wertpapierhändler, bevor er wegen eines gigantischen Anlagebetrugs im Gefängnis landete, wo er 2021 starb.
Madoff lebte den amerikanischen Traum – er jagte dem Geld nach, denn Geld ist „die erste, die unmittelbarste Form des amerikanischen Traums“, und damit „der einzige Wert, der einhellig von allen anerkannt und respektiert wird, der Nerv Amerikas. Weil ich an dem, was ich verdiene, mit Gewissheit erkenne, was ich wert bin“, wie seine Biografin Dominique Manotti ihn sagen lässt.
Er heiratet das Geld seines Schwiegervaters, gründet mit 22 Jahren seine eigene Wertpapierfirma, verdient gutes Geld, könnte bereits mit 40 Jahren die Dinge gemächlich angehen, doch dann kommt Reagan an die Macht. Fortan gilt das Gesetz des Marktes, regiert der Traum der Hungrigen, die nicht genug kriegen können.
Die Grundlage des Kapitalismus ist die Gier nach Mehr-Mehr-Mehr und das meint: die Sucht. Es sind die Süchtigen, denen nichts genug ist, die immer mehr wollen, die „unser“ System am Laufen halten. Und Madoff und seine Klientel sind Paradebeispiele von Süchtigen.
Das sah man damals anders, und man sieht es auch heute anders, auch wenn mittlerweile niemand mehr sagt: Gier ist gut, denn sie treibt uns an. Zudem: Sich am Rande der Legalität zu bewegen, ist nicht verwerflich, sondern ein Erfolgsrezept, denn nur Dummköpfe sind gesetzestreu und glauben an den Wert harter Arbeit. So denken die meisten, doch es zu sagen gilt als unfein.
Der Mensch ist imstande, alles zu rationalisieren, von der Gier zu gänzlich unakzeptablem Verhalten. Unakzeptables Verhalten? Für jemandem, dem das Geld den wichtigsten Wert im Leben darstellt, gibt es das nicht. Doch weshalb tolerieren wir das? Weil wir alle (okay, fast alle) das Geld verehren.
Zusammen mit einem Deutschen zieht er ein Ponzi-System auf, von dem beide wissen, dass es auf Dauer nicht gut gehen kann – und so ist es dann auch. Die Immobilienkrise führt dazu, dass die Kunden ihre Einlagen abziehen. Madoff und sein Geschäftsfreund sind bankrott; die Rechnung zahlt der Steuerzahler. Dass der sogenannte Rechtsstaat für die Betrügereien krimineller Finanzleute aufkommt, ist eine Perversion, der viel zu wenig Aufmerksamkeit zukommt. Gut also, gibt es diesen Text.
Madoffs Traum, der Monolog eines Heuchlers, der seine Klientel verachtet und ihr nach dem Mund redet, ist ein Text über Menschen, denen jegliches Unrechtsbewusstsein fehlt. Wer sich ausschliesslich am Geld orientiert, verfügt über keinen moralischen Kompass. Mit Anstand ist solchen Leuten nicht beizukommen. Es braucht einen Gauner, um die Gauner an die Kandare zu nehmen, meinte Präsident Roosevelt einmal.
Das Wirtschaftsleben hat sich schon lange von der realen Welt, den Produktionsstätten, verabschiedet, sich an die Börse verlagert und damit die Zocker ans Ruder gebracht. Für Geld- und Erfolgshungrige ist der Kapitalismus schlicht genial. Legal/illegal sind keine Kriterien, die vor den Abzockern Bestand haben – erst Madoffs geldgierige Kunden haben Madoff möglich gemacht.
Madoffs Traum sei eine moralische Erzählung, schreibt Manotti, die sich zu Recht darüber empört, dass wieder einmal ein Sündenbock her musste, um das System zu retten. „Die Affäre Madoff ist ein Lehrbuchfall: In den Vereinigten Staaten hat man das Recht, die Armen zu berauben, nicht aber die Reichen. Daher mein Zorn.“