Cover des Buches Die Gesichter der Wahrheit (ISBN: 9783257069631)
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Rezension zu Die Gesichter der Wahrheit von Donal Ryan

Finanzkrise in Irland

von Buecherschmaus vor 8 Jahren

Rezension

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Buecherschmausvor 8 Jahren
Einundzwanzig Menschen, einundzwanzig Leben, einundzwanzig Mal Erleben der gleichen Wirklichkeit und doch einundzwanzig verschiedene Wahrheiten. Verpackt in ebenso viele meist recht kurze Kapitel.
Der Aufbau von Donal Ryans Roman ist nicht unbedingt neu, aber hier sehr gekonnt umgesetzt.
Er erzählt aus einer kleinen irischen Gemeinde, die gerade in den Strudel der Finanzkrise geraten ist, die Irland bekanntlich besonders hart erwischt hat. Fast jeder hier ist unmittelbar davon betroffen.
Der örtliche Bauunternehmer Pokey Burke hat sich nach der Insolvenz ins Ausland abgesetzt. Seine Arbeiter und Angestellten stehen nun nicht nur von einem Tag auf den anderen ohne Job da, sondern müssen auch erfahren, dass jahrelang weder Sozial- noch Rentenabgaben für sie abgeführt wurden. Die Subunternehmer und Zulieferer bleiben auf ihren Rechnungen sitzen, die wenigen Hauskäufer auf enormen Hypotheken und unbehobenen Baumängeln.
Auch das sind natürlich keine neuen Erkenntnisse. So oder so ähnlich hat es sich nicht nur in vielen Ländern Europas sondern auch in den USA abgespielt. Und doch kommt man als Leser den Ereignissen durch die Unmittelbarkeit mit der die Personen hier ihr Erleben, ihre „Wahrheit“ schildern, sehr nahe.
Die Personen unterscheiden sich in dem Milieu, aus dem sie stammen, in ihrer Sprache, ihren Sichtweisen und durch das Zusammensetzen dieses Mosaiks durch den Leser erhält dieser einen authentischen, direkten Blick auf das Irland der Jahre 2011/2012. Mit fortschreitender Lektüre ermüdet die durchweg stark negativ geprägte Erzählweise allerdings etwas. Ist da nicht auch mal ein klein wenig Licht, ein bisschen Freude im Leben dieser, zugegebenermaßen stark gebeutelten Menschen? Da droht sich die Tristesse ein wenig totzulaufen und der Leser stumpft zunehmend ab. Das Ganze wird dadurch verstärkt, dass die meisten der Erzählenden einen extrem negativen Blick auf ihre Umwelt und besonders ihre Mitmenschen haben, auch in ihrer Ausdrucksweise stark verroht sind. Dysfunktionale Familien und entsetzliche Kindheiten scheinen die Regel. Auch das ist natürlich „Wahrheit“ und dies ist sicher nicht der erste Roman eines irischen Autors, in dem das Leben genauso geschildert wird. Trotzdem nimmt Donal Ryan dem Buch gerade durch die ungebrochene Grautönung ein wenig seine eigentliche Wucht. Die einzige „Lichtgestalt“ ist der Vorarbeiter Bobby Mahon, der trotz eigener schmerzlicher Erfahrungen Menschlichkeit verkörpert. Aber gerade er wird des Mordes an seinem völlig heruntergekommenen, alkoholkranken Vater angeklagt.
Ganz dezent und von der Leserin fast überlesen, knüpft der Autor an sein vorheriges Buch „Die Sache mit dem Dezember“ an. Ist der gewaltsame Tod des John Cunliff, jenes geistig etwas zurückgebliebenen Jungen, dessen Haus dem Bauboom vor der Immobilienkrise weichen sollte so etwas wie Initial und gleichzeitig Menetekel für die Vorgänge, die schließlich damit endeten, dass alles in dem kleinen Ort den Bach hinunter zu gehen scheint.
Trotz einiger Kritikpunkte ist Donal Ryan ein sehr eindrückliches, lesenswertes Buch gelungen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven sehr facettenreich, durch die Thematik hochaktuell und erhellend, durch den Handlungsbogen bis zuletzt spannend und durch die zupackende Art zu erzählen sehr unmittelbar und unterhaltsam.
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