Rezension zu "Am Ende des mechanischen Zeitalters. Ausgewählte Prosa (Inselbücherei, 1083)" von Donald Barthelme
"Die Kunst ist nicht schwierig, weil sie schwierig sein möchte. Wie sehr auch der Schriftsteller sich danach sehnen mag, in seinem Werk einfach, ehrlich und geradlinig zu sein, diese Tugenden sind für ihn nicht länger verfügbar. Er entdeckt, dass sich nicht viel tut, wenn er einfach, ehrlich und geradlinig ist: Er sagt das Sagbare, während wir das bis jetzt noch Unsagbare suchen, das bis jetzt noch nicht Gesagte" (Donald Barthelme)
Barthelme wurde 1931 in Philadelphia geboren und starb1989 in Texas. Der heute als einer der bekanntesten der Postmoderne zugeordneten Autoren Thomas Pynchon zählt ihn zu den wichtigsten und prägendsten Schriftstellern, welches sein Werk mit am meisten beeinflusst haben. Dieses kleine Bändchen beinhaltet 9 Kurzgeschichten und einen Essay, welches einen guten Eindruck in das Prosawerk des Autors geben.
Was zeichnet die Schreibkunst des uns heute doch fast unbekannten Autoren aus? Nun da ist seine Fähigkeit, durch seine verspielten, abstrakten uns skurilen fiktiven Geschichten und Bildern sehr phantasievolle verfremdete Texte gestaltet die für den Leser im ersten Moment nur äußerst schwer zugänglich erscheinen. Hier steckt so viel Ironie, Verfremdungseffekt und Einfallsreichtum in den Textcollagen, das es für den Leser unzählige Wahrnehmungsweisen entstehen und schlussendlich die Mehrdeutigkeit und Interpretationsmöglichkeiten kaum einzugrenzen sind. Es ist ein bewusster Bruch mit einer allzu klassischer Erzählweise und bekannten konventionellen Stil. Es ist wenig Platz für konventionelle Erläuterungen und Beschreibungen. Fast jede Geschichte hat eine offene Form ohne durchziehende Handlung. Stattdessen werden authentische Situationen immer wieder durch Stimmungen unterbrochen, welche die scheinbar sichtbare klare Oberfläche verzerren, aufbrechen, und surreale, phantastische Ebenen hinzufügen. Die Geschichte "Dem Pionier Paul Klee kommt ein Flugzeug abhanden, zwischen Milbertshofen und Cambrai im März 1916" ist dafür beispielhaft. Natürlich hat Klee während seiner Zeit als Soldat im Krieg kein Flugzeug verloren. Hier spiet Barthelme mit den Eigenheiten des Malers, verwendet Auszüge aus seinen Tagebüchern und mischt sie mit einer gehörigen Brise Ironie und Spott z.B. über die Naivität und Sensibilität des Künstlers. Zitat: "Das Verlorene Flugzeug bedaure ich sehr, aber nicht übermäßig. Der Krieg ist vorübergehend. Doch Zeichnungen und Schokolade dauern ewig fort."
"Daumier", einer dieser spritzigen Geschichten mit vielen verrückten Einfällen, parodiert den Western mit seinen zahlreichen trivialen Mythen und dessen Rezeption in der modernen westlichen Kultur. Der Name geht auf einen französischen Maler und Karikaturisten zurück, der zu seiner Lebenszeit bereits für viel Unruhe in der bürgerlichen Gesellschaft Amerikas sorgte. In der Geschichte, welche Jahrhunderte umspannt, erscheint er in der Gestalt unterschiedlicher Figuren wie die eines Mädchenhändlers oder eines psychisch kranken Zeitgenossen mit einem obskuren eigens entwickelten Rezept zur Selbstheilung. Dieses sieht vor, sich mit der Schaffung zweier künstlicher Hüllen seines Selbst (Surrogate) von jeglicher Verantwortung für sein Handeln frei zu machen indem er seine ganze Persönlichkeit und kennzeichnenden Eigenschaften auf diese künstliche Konstrukte überträgt. Er wäre dann eine leere Hülle, ein Mann ohne Eigenschaften, doch noch immer für die "Programmierung" seiner geschaffenen Wesen verantwortlich. Diese Surrogate seien dabei keine Lösung sondern allenfalls Möglichkeiten um einen vorläufigen Ausweg aus allen Problemen anzubieten. Wenn schon keine Lösung, dann beharrliche Verdrängung durch das sich verwandelns bzw. aufspaltens in neue Formate und Formen. Hier symbolisiert Daumier dann die gespaltene Persönlichkeit des modernen Menschen, welcher als individualistischer Abenteuerheld verherrlicht wird; die identitätslose Menschenmasse verachtet und sich mit Hilfe psychotherapeutischer Pseudomitteln einen Sinn fürs Dasein suggerieren lässt.
Was erreicht er mit seiner ungewöhnlichen und raffinierten Erzählkunst, schwankend zwischen opportuner Bedeutungsschwere und ironisch bisweilen satirisch durchzogenen bissigem Humor? Nun es gelingt, den Leser sehr nachdenklich zurückzulassen, denn wie schlussfolgert er in seinem Essay mit dem Titel "Nicht-Wissen": "Das Ziel des Meditierens über die Welt ist es letztlich, die Welt zu ändern".