Rezension zu Heimliche Versuchung von Donna Leon
Brunetti wie im Rausch
von aus-erlesen
Kurzmeinung: Brunetti kommt einem perfiden Plan auf de Spur
Rezension
aus-erlesenvor 6 Jahren
Wie ein Sinnbild steigt vor Commissario Guido Brunetti eine Nebelwand auf als er auf dem Weg zur Questura ist. Undurchdringlich, wie ein Stoppschild, das keine Ausnahmen zulässt. Alles erliegt dem Nebel, Stillstand allerorten. Nur das, was nicht durchsickern darf, kriecht auf (oder in den?) undurchsichtigen Kanälen nach draußen.
Professoressa Crosera stattet ihm im Büro, das er schlussendlich erreicht, einen Besuch ab. Ihr Sohn Alessandro besucht eine teure Privatschule. Dort gibt es Gerüchte um Drogendealer, die dort ihr Unwesen treiben. Auch ist Sandro seit einiger Zeit unkonzentriert, mufflig, und seine schulischen Leistungen sind seit einiger Zeit weit hinter den Erwartungen und vorherigen Ergebnissen zurückgefallen. Tochter Aurelia, der das mysteriöse Verhalten ihres Bruders nicht verborgen blieb, vertraut sich ihrer Mutter an. Und die nun – als Kollegin von Paola – Guido Brunetti. Doch was soll er machen? Alle Dealer verhaften, damit sie einen Tag später frech grinsend wieder ihrer „Arbeit“ nachgehen können?
Brunetti wäre nicht Brunetti, wenn er nicht doch etwas unternehmen würde. Als dann auch noch der Ehemann der Professoressa bewusstlos am Ponte del Forner gefunden wird, erhält er nicht nur die Legitimation für Ermittlungen, sondern schärft seine Sinne ganz besonders.
In der Questura hingegen geht ein Gespenst um. Das Gespenst der undichten Stelle. Ein Verdächtiger musste aus ermittlungstechnischen Gründen wieder entlassen werden. Doch wer konnte das seinen Mund nicht halten, so dass die Panne publik wurde und der Verdächtige nun wieder unter Venedigs grauem Himmel (wir sind im November) vielleicht sogar frech grinsend den Betrieb am Laufen halten kann? Die Lösung gefällt weder Brunetti noch dem Leser…
Im Fall der Drogen an der Privatschule lichtet sich der Nebel nach und nach. Doktoren, das Krankenkassensystem und die Raffgier einiger Beteiligter, die den Patienten lieber helfen sollten als sich an ihrem Leid zu bereichern, bilden ein Geflecht, das Brunetti nicht allein entwirren kann. Elettra ist wie immer eine besonnene und kreative Hilfe, die ihren Chef mit ihren Computerkenntnissen immer noch und immer wieder in Erstaunen versetzen kann. Warum schickt ein Arzt seine Patienten in eine Apotheke am anderen Ende der Stadt? Und was hat es mit den rätselhaften Coupons auf sich, die ein Arzt ausstellt? Die sind wertlos, wenn man sie einlösen will. Lediglich Kosmetik kann man dafür erhalten.
Donna Leon gewinnt auch dem trüben Monat November in der Lagunenstadt noch etwas ab, das den Leser in Verzücken geraten lässt. Der siebenundzwanzigste Fall ihres Commissarios liest sich anfangs wie eine Verbrecherjagd durch die Kanäle, Gassen, vorbei an Anlegestellen bis in die Tiefen der menschlichen Seele. Brunettis Vertrauen wird auf eine harte Probe gestellt. Alle wissen was, keiner will sagen woher. Und das, obwohl er schon seit Jahren mit den Geheimnisträgern zusammenarbeitet. Die Sticheleien von Kollegen nerven ihn, doch er ist die Ruhe in Person. Vianello ist wie immer ein treuer Gefährte, doch auch er hat mittlerweile geheime Quellen. Und Elettra ist auch nicht mehr so selbstbewusst wie zuvor. Irgendwas geht hier vor!