The Goldfinch
von TinaGer
Kurzmeinung: Müssen wir uns von Besitz freimachen? Sind wir an eine Illusion gekettet, wie der Goldfinch an seine Fessel?
Rezension
Warum lieben wir Dinge mehr als Menschen? Warum häufen wir in unserem Leben den banalsten Besitz an, jagen gleich eines Fetischisten immer neuen Verführungen von Kommerz und Kunst nach, während das Glück der Welt doch in einer kleinen Geste, in einer freundschaftlichen Berührung, in der Liebe liegt?
Donna Tartt entfaltet auf sagenhafte Weise diese einfache Frage. Sie nimmt sich Zeit, die sie sich durchaus stellenweise zu viel genommen hat. Ja, damit fällt sie mir auch auf die Nerven, doch das große Bild betrachtend, verzeihe ich ihr spielend und überblättere den Upper Class und Kunstblabla einfach. Ganze Figuren – wie Horst / Lucien – hätten für mich gestrichen werden können, sie haben keinerlei Bedeutung, während für diverse lose Fäden nicht mal mehr Zeit bleibt, um sie abzubinden. Gottlob will man fast meinen. Ja, ich könnte anführen, wie ihr die Ich-Perspektive Theos immer wieder auf die Füße fällt, denn die Einschränkungen dieser Erzählform sind durchaus herausfordernd, ich könnte anführen, wie sie kleine Erwachsene erzählt, weil ihr die Kids offenbar irgendwann auf den Senkel gegangen sind, ich könnte anführen, wie sie mich genervt hat mit ihren ausschweifenden Recherchen, wie wenig mich der Goldflatterich, die 9/11 Kopie und sonstige Plots interessiert haben, doch was bleibt ist schlicht so berührend, auf das alle Kritik verklingt.
Sie erzählt mit Theo Decker einen hoch identifizierenden Protagonisten. Ich habe mich selten so oft wiederentdeckt, wie in diesem verlorenen Urbanisten. Seine Abgeschnittenheit von der Welt, sein Kampf, seine Fehler, sein konstantes Scheitern sind berührend und doch nicht niederdrückend, sondern bereichernd, fast erfrischend. Ich finde es unsagbar lässig, wie sie durch ihre Vorwegnahmen alle Spannung im Keim erstickt. Was brauchen wir um glücklich zu sein? Müssen wir uns frei machen von allem Besitz? Sind wir an eine Illusion gekettet, wie der kleine Goldfinch an seine Fußfessel? Ist das nicht auch der Grund, warum sie Theo Fälschungen verkaufen lässt? Warum er den Besitz des Goldfinches als Last empfindet? Für mich ist dieser Roman nicht der große Kunstroman, der die Schönheit der Malerei preist, sondern das genaue Gegenteil. Für mich ist der Text der Versuch eines Befreiungsschlages aus den Ketten dieser ewigen schönen oberflächlichen Welt und der Versuch einer Rückbesinnung auf die wahren, zwischenmenschlichen Werte, die das Leben lebenswert machen. Tartts Sprachwitz ist ein Genuss. Ihre schrägen Einfälle sind wunderbar. Leseempfehlung für alle mit besonderer Fähigkeit zum stellenweise Querlesen. Das braucht man bei dem Roman.