Liebesromane sind ja immer schmalzig, um einmal diesen etwas despektierlichen Begriff zu verwenden. Das muss bei diesem Genre auch so sein, das gehört dazu. Doris Labrenz' Roman macht da keine Ausnahme. Herzschmerz und Romantik gibt es satt.
Aber "Liebe kennt keine Vorurteile" ist eben doch anders. Ungewöhnlich geradezu. Dies liegt vor allem an den beiden Hauptfiguren. Protagonistin Lilo ist ein zartes Persönchen, aber eben eine Kämpfernatur, die sich durch nichts und niemanden von ihrer Überzeugung abbringen lässt. Regelrecht krass fällt die männliche Hauptfigur aus. Lilos große Liebe ist ein verurteilter Gewalttäter, ein Vergewaltiger sogar. Geläutert zwar, aber eben doch in seinem Wesen schwierig und kompliziert. Dass sich die Liebesbeziehung zwischen ihm und Lilo problematisch gestaltet, ist nur logisch. Julian muss mit seinen Gefühlen klarkommen, seine Selbstzweifel und Skepsis überwinden, und dass Lilos Umwelt in großen Teilen auf das Verhältnis geradezu entsetzt reagiert, ist dabei nicht hilfreich.
Doris Labrenz hat die Charaktere sehr lebensecht geschildert, bis zur kleinsten Nebenfigur ist niemand klischeehaft gezeichnet, obwohl natürlich gängige Personenmuster angewendet werden (der väterliche Freund etwa, die beste Freundin, die untreue Ex ...). Aber alle sind wie aus dem Leben gegriffen, und eben dies macht die unwahrscheinliche Liebesgeschichte dann auch glaubhaft.
Und für den Mut, einen Sexualstraftäter ins Zentrum eines Liebesromans zu rücken und ihn dann auch noch differenziert und nicht als reinen Unhold darzustellen, gebührt der Autorin Anerkennung. Sie hätte sich es auch einfacher machen können, indem sie die Figur abschwächt, verzärtelt und massentauglicher anlegt. Doch Doris Labrenz zeigt keine Angst, sich in die Nesseln zu setzen, und wählt stattdessen den schwierigen Weg. Und so hat das Werk denn auch eine tiefe humanistische Botschaft in sich: Es lohnt sich, bei Menschen, so böse sie auch scheinen mögen, ihren guten Kern zu suchen. Nicht selten wird man nämlich tatsächlich fündig.