Cover des Buches Aus der Welt (ISBN: 9783453355712)
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Rezension zu Aus der Welt von Douglas Kennedy

„Aus der Welt“ von Douglas Kennedy

von Schriftsteller1 vor 10 Jahren

Rezension

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Schriftsteller1vor 10 Jahren

Bei dem Roman von Douglas Kennedy handelt es sich um interessante zeitgenössische Belletristik. Ich erhielt über 638 Seiten einen detaillierten Einblick in das Leben der Jane Howard. Begleitete sie, die Ich-Erzählerin, ein langes Stück durch die Untiefen ihres Lebens und erhielt dabei auch dichte Einblicke in ihre Vergangenheit, ihre Kindheit und ihren familiären Hintergrund.

Jane Howard beginnt eine Affäre mit ihrem Professor, während sie an ihrer Doktorarbeit feilt. Diese, zwar nur vage, aber dennoch zufriedenstellende, Beziehung wird jäh beendet, als der Professor plötzlich verstirbt. Jane braucht lange, bis sie sich erholt und unternimmt dabei, um sich selbst zu befreien, einen Ausflug in die Finanzwelt, der wieder interessante Details aus ihrer Vergangenheit zu Tage befördert. Nach einer Weile lernt sie Theo kennen. Sie verliebt sich, tut sich geschäftlich mit ihm zusammen und bringt eine gemeinsame Tochter, Emily, zur Welt. Leider währt das Glück nicht lang. Nach einer folgenschweren Katastrophe, lässt Jane ihr bisheriges Leben hinter sich und scheidet „aus der Welt“.

Der Roman ist in vier Teile strukturiert. Die Sprache ist einfach und klar, beinahe nüchtern. Mir hat der 4. Teil besonders gefallen. Plätschert die Geschichte davor so vor sich hin, greift der Autor hier zu einer Plotidee, die mich schon immer fasziniert hat.

Was machst du, wenn du alles und jeden hinter dir lassen kannst? Keine sozialen Kontakte mehr, keine Bindung an Raum, Job, Geld und Zeit. Das, was wir die grenzenlose Freiheit nennen würden. Die komplette Unabhängigkeit. Was würde ich tun? Douglas Kennedy hat dieses Thema auf eine andere Art bereits in „Nachtblende“ verarbeitet, was ich auch verschlungen habe. Er lässt seine Protagonistin in eine Katastrophe rennen und befreit sie dann von allem, was dem normalen Menschen lebenswichtig ist. Er schickt sie „Aus der Welt“. Was würde man tun, wenn einen nichts mehr hält, wenn einen nichts mehr aufhält? Freiheit!

Kennedy befreit Jane sogar noch mehr, als wir es uns vorstellen können. Er nimmt ihr die existentiellste Angst, die uns von Dingen abhalten könnte. Er nimmt ihr die Todesangst. Jane hat keine Angst mehr vor irgendetwas. Sie scheint befreit von allem zu sein. (S. 410). Jane verlässt mit nur wenig Hab und Gut das Land und richtet sich in einer ihr völlig fremden Stadt neu ein. Schnell wird klar, dass es so einfach nicht ist. Dass man diese grenzenlose Freiheit niemals genießen kann, da sie auch stets an Bedingungen geknüpft ist. Dass einen die Vergangenheit immer einholt und sei es nur in Erinnerungen. Bei Jane ist es die unfassbare Trauer, die ihr jegliche Lebensqualität nimmt. Und es stellt sich auch schnell heraus, dass wir Menschen ohne soziale Kontakte nicht existieren können. So gelingt es auch Jane nicht, obwohl sie immer wieder darauf pocht, ganz alleine zu bleiben.

Jane ist eine Person, die, bedingt durch ihre grobe Kindheit, sehr schnörkellos und introvertiert ist. Sie sehnt sich danach, allein zu sein, befreit von sozialen Kontakten und Verpflichtungen. Sie findet, von je her, nur schwer Freunde und lebt zurückgezogen. Demzufolge bestehen ihre Hobbys auch aus ruhigen Dingen, wie Literatur, Konzerte, Theater. Kommunikatiosarme Beschäftigungen. Jane als Mensch, hätte mich bei einem persönlichen Kennenlernen nicht fasziniert, weil sie seltsam kühl wirkt. Kennt man aber die Geschichte dahinter, ist alles an ihr nachvollziehbar.

Kennedy lässt seine Protagonistin Meinungen äußern, bei denen ich mich wiedergefunden habe. So prangert Jane mehrfach die Architektur der heutigen Zeit an. Die Hässlichkeit von modernen Gebäuden im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten. Dieser kalte, abstoßende Baustil. Sie nennt es sogar „Brutalarchitektur“ (S. 433, S. 445)

Außerdem prangert sie die kleinen Kämpfe und das Mobbing bei der Arbeit an. Sie kann nicht begreifen, warum es sich die Menschen bei ihrer Beschäftigung unnötig so schwer machen können. Sie bezeichnet Arbeitsstätten teilweise als Schlachtfelder (S. 490). Diese beiden Beispiele zeigen, dass Jane trotz äußerlicher Unterkühltheit ein sehr sensibler Mensch ist.

Fazit: Ich habe mich anfangs etwas gelangweilt. Ich denke, dass dieser Roman auch mit 100 oder 200 Seiten weniger gut ausgekommen wäre. Mit Jane Howard warm zu werden und ihre Denkweise nachvollziehen zu können, viel mir ebenso schwer. Aufgeschlüsselt wurde es mir erst, als ich mehr aus ihrem Leben erfahren durfte. Dennoch zog mich das Buch schließlich in seinen Bann und ich habe es spätestens ab dem 3. Teil verschlungen. Lesenwert.

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