Rezension zu "Ausgeblutet" von Dr. Sâra D. Aytaç
Beim Lesen der ersten Seiten des Buchs dachte ich: ›Oh nein, so viel ICH und so wenig WIR.‹ Doch dann hatte sie mich, die Frau Doktor. Sehr direkt, offen und schonungslos berichtet sie über ihren Klinikalltag. Sie legt den Finger in die große schwärende Wunde unseres Gesundheitssystems, sie beschönigt absolut nichts, spricht klar aus, dass es an allen Ecken und Enden brennt. Als Leserin spürte ich beim Lesen ihre Erschöpfung, psychisch und physisch, ihren Zorn, ihre Resignation und auch, dass sie trotz des maroden Systems ihr Bestes gibt, für die Patienten, die ihr anvertraut sind und das tagtäglich.
Frau Dr. Sâra D. Aytaç spricht an, dass es oft nur um den Profit geht, den die Krankenhauskonzerne einfahren können. Sie schreibt darüber, dass zum Beispiel viele Operationen vermeidbar wären, es immer wieder zu Fehldiagnosen kommt, viele künstliche Gelenkersetzungen nicht nötig seien und dass es die vergessenen Alten gibt, deren adäquate Behandlung keinen Profit bringen. Auch die lebensgefährlichen Kommunikationsprobleme sind Thema, Ersatzpersonal, Ärzteschaft und Pflegepersonal gleichermaßen betreffend, weil sie unsere Sprache nur minimal beherrschen und sie berichtet über unlustigen Medizinstudierende, die eigentlich keinen Bock auf nichts haben.
Gänsehaut, Zorn und Traurigkeit sind die Gefühle, die sich beim Lesen des Buchs bei mir breit machten und ich musste mich regelrecht zur Ordnung rufen, damit meine Rezension zu diesem außerordentlich realistischen Buch gerade blieb. Zu DDR Zeiten war ich mit Leib und Seele examinierte Krankenschwester, erst am städtischen Krankenhaus meines Wohnorts und später in einer Ambulanz. Ich bin froh, nicht in diesem finanzgedrillten Gesundheitswesen arbeiten zu müssen. Ich habe auch in die Landespolitik rein gerochen und erlebt, dass Pflegepersonal und Ärzteschaft keine große Lobby haben.
Fakt ist, dass Gesundheitspolitiker/Minister sich kaum die Mühe machten, die bisherigen Reformen zu entkernen und neue Reformen das ganze System nur verschlimmverbessert haben. Warum, fragen Sie sich? Weil Politik bisher nicht zu sachgerechten und sinnvollen Entscheidungen unter Beachtung des Sachverstandes der Ärzteschaft und des Pflegepersonals, fähig war. Nie geht es richtig um das Wohl der Patienten, sondern immer um Profit. Nie wird physische und psychische Gesundheit als Einheit einbezogen und nie steht sinnvolle Prävention und Gesundheitsbildung im Vordergrund. Denn nur ein kranker Patient bringt Profit. Offen gesagt, ich glaube auch nicht, dass unser derzeitiger Gesundheitsminister, mit seinen großen Ankündigungen und Ambitionen, das vermag. In erster Linie ist er ja Gesundheitsökonom. Eigentlich vermag dies nur jemand, der tagtäglich den Wahnsinn des Klinikalltags erlebt – Sachverstand und das Wohl der Patienten-/Ärzteschaft und der Pflegekräfte im Blickfeld hat und es in Einklang bringen kann.
Danke für dieses ehrliche und schonungslos offene Buch, Frau Dr. Sâra D. Aytaç. Chapeau!
Das Buch sollte man gelesen haben und hat meine absolute Leseempfehlung!
Heidelinde Penndorf
(Januar 2023)