Rezension zu "Das Kind. Die Frau. Der Soldat. Die Stadt." von Dragoslav Dedovič
Nachdem ich im vergangenen Jahr ein paar Tage in Sarajevo war, las ich jetzt diese Anthologie bosnischer Erzählungen. Viele handeln vom Kriegsalltag und der Belagerung dieser so wunderschönen Stadt, die wegen der Vielfalt der Religionen und Kulturen einmal als das Jerusalem Europas galt. Heute geht man buchstäblich auf Schritt und Tritt über Leichen, Opfer der verbrecherischen Belagerung in den Jahren 1992 bis 96, die unter Todesdrohung für die Trauernden in allen Gärten und Grünflächen der Stadt rasch verscharrt wurden. Die Gräber sind heute durch weiße Grabmale bezeichnet, die auch die Massenfriedhöfe an den Hängen rund um die Stadt übersäen. Die Erzählungen berichten von dem Terror durch die Scharfschützen, die schon die Überquerung einer Kreuzung oder das Zapfen von Wasser an den wenigen Wasserstellen zum lebensgefährlichen Unterfangen machten. Sie beschreiben den Alltag in einer belagerten Stadt, berichten vom plötzlichen Verlust der Nächsten und vom Bemühen, unter diesen Bedingungen nicht gänzlich zu verzweifeln. Die Erzählungen über den Krieg sind die beeindruckend- und bedrückendsten in dieser Sammlung. Sie sind ein Mahnmal gegen den Krieg (dass sie nicht dokumentarische Texte, sondern literarisch sehr anspruchsvoll geschrieben sind, sei hier nur ergänzend angemerkt). Und alle können wir nur hoffen, dass die Völker der Region irgendwann zu einer friedlichen Koexistenz finden.