Rezension zu "Das Ministerium der Schmerzen" von Dubravka Ugresic
Ein irreführender und ebenso treffender Titel ziert das Cover des 2004 erschienenem Romans von Dubravka Ugresic. 'Das Ministerium der Schmerzen' ist ein Werk über die Zerissenheit von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, sich selbst in einer neuen Sprache wiederfinden müssen und Traumata verwinden. Die Protagonistin Tanja Lucić stammt aus Zagreb, studierte dort Literaturwissenschaften und musste aufgrund der Ausschreitungen im vormaligen Jugoslawien das Land verlassen.
Ich weiß nur, dass ich längst abgereist und noch nirgends angekommen war. - S. 16
Auf dem Weg nach Amsterdam streift sie zuerst durch Berlin, trennt sich dort von ihrem Mann und bekommt dann das Angebot, in Amsterdam Serbokroatisch an der Universität zu unterrichten und eine Wohnung gestellt zu bekommen.
Auf dieses Unterfangen lässt sie sich ein und handelt dabei gegen die Prinzipien eines Professors, denn sie entwickelt eine eigene Art des Unterrichtens. Ihr Studierenden sind alle Betroffene des Krieges, jeder hat seine eigene Geschichte und auch seine eigene Sprache. Um die Gruppe zusammenzubringen und auf der Suche nach ihrer Identität packen sie einen Koffer mit Texten über Jugoslawien. Dinge, die sie nicht vergessen wollen, Dinge, die sie vergessen wollen – von Rezepten bis zu Kriegserfahrungen ist alles dabei.
Sobald ich den Unterrichtsraum zum ersten Mal betrat, erkannte ich die Unsrigen. Die Unsirgien liefen mit einer unsichtbaren Ohrfeige im Gesicht herum. Sie hatten den schrägen Blick eines ängstlichen Hasen, eine besondere Anspannung, etwas von einem Tier, das lauert, aus welcher Richtung Gefahr drohen könnte. Die Unsrigen verrieten sich durch eine nervöse Wehmut im Gesicht, durch einen verdüsterten Blick, einen Schatten der Abwesenheit, eine kaum sichtbare innere Geducktheit. - S. 22
Tanja und die Studierenden wachsen zusammen, verbringen viel Zeit in Cafés zusammen und lassen sich in ihre Blase fallen. Dabei wirkt Tanja stets über den Dingen schwebend, so als wäre sie in dem Geschehen nicht wirklich verwurzelt und dadurch nicht ganz dabei.
Ein Wendepunkt der Geschichte birgt die Kritik des Institutsleiters an Tanjas Arbeit, denn diese Kritik kam von einem ihrer Studierenden. Verletzt setzt sie zum Gegenschlag an und sie unterrichtet distanziert und strukturiert die serbokroatische Literatur. Ihr geht es nicht gut damit und auch die Studierenden sind nicht zufrieden damit.
Die Grundstimmung des Romans ist sehr tragend und beklommen. Gerade Tanja, die oft in poetischen Gedanken zum Krieg, zur Identität und zu sich selbst wiederzufinden ist, lässt diesen Eindruck entstehen. Die Sprache ist wunderschön und gleichzeitig, wie als würde man Glas essen, denn was geschrieben wird, ist hart und erschütternd.
Ich hatte zuvor kein großes Wissen über die Zusammenhänge des Zusammenbruchs Jugoslawiens und auch jetzt bin ich durch das Buch nicht im Bilde von historischen Fakten. Das ist aber nicht der Anspruch des Romans. Es geht darum, den Axthieb in der Seele der Geflohenen zu zeigen, dass der Verlust von Heimat und Existenz unvorstellbar ist, auch wenn der Roman eine Annäherung daran gibt.
Dennoch muss ich gestehen, das Buch hatte seine Längen. Das Thema ist mit zarten Fingerspitzen bearbeitet worden, doch zwischenzeitlich ging für mich die Verbindung von Leser und Text verloren. Nichtsdestotrotz war es ein berührendes und wenig pathetisches Buch, das mir einen Einblick in die Thematik gab und zutiefst treffend Menschlichkeit abbildet.