Cover des Buches Homer & Langley (ISBN: 9783462042986)
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Rezension zu Homer & Langley von E. L. Doctorow

Eine faszinierende Darstellung von Sinneseindrücken einer bewegenden Geschichte

von HibiscusFlower vor 10 Jahren

Rezension

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HibiscusFlowervor 10 Jahren
Homer & Langley Collyer, zwei Brüder, aus einer wohlhabenden Familie stammend und in einem Haus am Central Park in New York lebend.
Der eine blind, dafür hochsensibel. Der andere durch seine Erlebnisse im ersten Weltkrieg nicht mehr der, der er mal war.
Die Geschehnisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts lassen die beiden, angetrieben von Langley, sich mehr und mehr von der Außenwelt abschotten, auch wenn diese immer wieder an deren Türe anklopft.
Das Verwahren der Tageszeitungen, das zur Herstellung einer einzigen, immer aktuellen Tageszeitung dienen soll, ist der Anfang einer Sammelleidenschaft, die in eine obsessive Sammelwut abdriftet.
Edgar Lawrence Doctorow präsentiert auf einer wahren Begebenheit basierend, ein Meisterwerk, das die Geschichte der Collyer-Brüder und die Geschichte des anfänglichen 20. Jahrhunderts verknüpft.

Fern ab von Jugendbuch-Fantasy-Frauenherzerwärmer-Dystopie-Bereichen wollte ich lesen und habe mit meinem Griff ins Bibliothekregal einen mir bis dato unbekannten Autor und seine dichterisch freie und eigenwillige Sicht auf das Leben der Collyer-Brüder als Basis in Verbindung mit den historischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts herausgezogen.

Es ist der blinde Homer, aus dessen Perspektive die LeserInnen das Leben, die Schicksale, die Begegnungen und die Emotionen in dem Haus an der Fifth Avenue erleben. Beginnend mit dem Verlust seines Augenlichtes, führt er durch die vier Stockwerke des Stadthauses, erzählt von seiner Leidenschaft als Pianist, den weltreisenden Eltern, seinem Bruder Langley und seinen Theorien sowie von Langleys Veränderung, nachdem er aus dem ersten Weltkrieg zurückkehrt.
Nach dem anfänglichen Versuch, das alte Leben wieder aufzunehmen, kommt sehr schnell die Feststellung:
Das Gefühl, ein defekter Mensch zu sein, lässt es klüger erscheinen, sich abzusondern und so Schmerz, Leid und Demütigungen zu vermeiden. (S.83)

Besitzgier und Geiz - klingt zunächst widersprüchlich. Doch Langley entwickelt ein Wertgefühl für Gegenstände, die er entweder günstig oder gar kostenlos auf seinen Streifzügen ausserhalb des Hauses entdeckt. Der Wunsch, aus all den von ihm gesammelten Tageszeitungen, eine einzige, zeitlose Zeitung entstehen zu lassen schliesslich hat er diese Alles-im-Leben-wird-ersetzt-Theorie, läuft neben dem Sammelverhalten, heute bekannt unter Messie-Syndrom, nebenher mit.

Konträr zur Beständigkeit des Sammelsuriums, mit dem Langley das Haus nach und nach (über-)füllt, stehen die Begegnungen mit Menschen, die nur kurzzeitig in ihrem Haus verweilen.
Gangster, Huren, Musiker, Enkel, unerreichbare Lieben, Quertreiber, Verfolgte, Hippies stehen nicht nur vor der Tür, sondern finden Einlass, Gehör, hinterlassen Eindrücke, Gefühle, Abneigungen und Erinnerungen.
Doch: Menschen verschwinden aus deinem Leben. Und zurück bleibt ein verrückter Exzentriker, sein blinder Bruder und ein Labyrinth von gefährlichen Pfaden.

Ich habe das Gefühl, dass, egal was ich schreibe, nichts diesem faszinierenden Buch gerecht werden kann. Mein erster Gedanke unterm Lesen war: wie verschroben. Dies aber nicht im Sinn von gaga ! Verschroben herrlich, auch wenn es im Verlauf durch Langley wahnwitzige Züge annimmt.

Durch seine Erblindung nimmt Homer nicht nur die Position eines passiven Beobachters ein. Die Schilderung des Zusammenlebens mit seinem Bruder und die Geschehnisse ihres Lebens bekommen durch das Einsetzen seiner restlichen Sinne eine ganz andere Tiefe, eben weil es nicht auf die optischen Reize reduziert wird.

Eine faszinierende Darstellung von Sinneseindrücken einer bewegenden Geschichte, verknüpft mit den Geschehnissen des 20. Jahrhunderts, zu denen unter anderem die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise zählen.
Dies war mein erstes Werk von E.L. Doctorow, der in New York geboren wurde, da noch immer lebt, an verschiedenen Universitäten englische und amerikanische Geschichte unterrichtete und für mehrere seiner Werke mit angesehenen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde.
Die genaue Geschichte der Collyer-Brüder zu erfahren, ist nach dem Auslesen einen Blick wert.

Dies ist mein Buch für die Themen-Challenge 2014 unter dem Punkt 16 - Bücher, die in einer Stadt mit mehr als 1 Mio. Einwohner spielen.
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