Rezension zu "Die erstaunlichen Sinne der Tiere" von Ed Yong
«Ein paar Begriffe sollen uns auf unserem Weg als Orientierungsmarkendienen. Wenn Tiere die Welt wahrnehmen, nehmen sie Reize auf – Größen wie Licht, Geräusche oder chemische Substanzen – und wandeln sie in elektrische Signale um, die dann entlang der Nervenzellenoder Neuronen zum Gehirn wandern. Die Zellen, die für die Aufnahme der Reize verantwortlich sind, nennt man Rezeptoren: Photorezeptoren nehmen Licht wahr, Chemorezeptoren nehmen Moleküle wahr, und Mechanorezeptoren nehmen Druck oder Bewegungen wahr. Oftmals liegen solche Rezeptorzellen in hoher Dichte in Sinnesorganen wie Augen, Nase oder Ohren.»
Jede Spezies auf der Erde nimmt nur bestimmte Reize aus ihrer jeweiligen Umwelt wahr: welche, wie und warum genau, das birgt verblüffende Entdeckungen. Wissenschaftsjournalist Ed Yong nimmt uns mit auf eine erstaunliche Reise zu den Sinnen der Tiere. Wir begegnen Käfern, die von Feuer angezogen werden, durch Wärmeorgane, die an «verformte Himbeeren» erinnern. Die einzelnen Kügelchen sind mit Flüssigkeit gefüllt, die an die Nervenzellen sind. Trifft infrarote Wärmestrahlung auf die Kugeln, erhitzt sich der Liquor, die Kugel dehnt sich aus und gibt Druck auf die Nervenzelle. Käfer spürt so Waldbrände auf, um sich zu paaren. Die Eier werden in die verkohlten Baumstämme abgelegt, ermöglichen den Nachkommen so ein durch den Brand gesäubertes Gebiet neu besiedeln zu können. Schildkröten spüren die Magnetfelder der Erde auf, Fische kommunizieren mit elektrischen Botschaften; Messerfische haben so etwas wie eine Batterie im Schwanz. Fliegen schmecken mit den Füßen. Die Welt der Lebewesen auf der Welt ist bunt und faszinierend. Ed Yong geht es in diesem Buch nicht um die Überlegenheit der Arten, sondern um die Vielfalt. Er sagt: «Nur wenn wir darum wissen, was sie sehen, wie sie die Welt erleben, können wir schützen, was im Begriff ist, verloren zu gehen.» Robben spüren die Strömung von einem einzelnen Hering noch in 200 Meter Entfernung, Froschembryos haben Kristalle im Innenohr, die Schlangen-Alarm geben. Denn die Schlange erzeugt eine spezifische Vibration, wenn sie in das Nest beißt, wodurch kleine Kristalle im Innenohr der Froschembryos geschüttelt werden, die ein Gefahrensignal sendet. Sofort löst das bei den Kaulquappen eine Frühgeburt aus, die sich aus dem Gebüsch, ins Wasser retten.
«Ein Hund kann eine Fährte auch dann noch verfolgen, wenn die Geruchsquelle nicht mehr vorhanden ist. ...
Selbst ein Bakterium, das nur aus einer einzigen Zelle besteht, findet Nahrung und meidet Gefahren, indem es molekulare Anhaltspunkte aus der Außenwelt aufnimmt. Bakterien setzen auch eigene chemische Signale frei, um damit untereinander zu kommunizieren; wenn ihre Zahl groß genug ist, setzen sie so Infektionen in Gang und vollziehen andere koordinierte Tätigkeiten.»
Zu Beginn des Buchs nimmt uns Ed Yong mit einem Gedankenexperiment in eine Turnhalle, in der sich ein Elefant, ein Rotkehlchen, eine Maus, eine Hummel und eine Klapperschlange befinden. Was nehmen sie wahr, wenn sie sich gemeinsam in einem Raum aufhalten? Sie erleben völlig differente Welten um sich herum – auf jeden Fall keine, die wir empfinden würden, wenn wir uns dazugesellen. Wahrnehmung passiert auf verschiedenen Ebenen. Der Mensch ist im Vergleich mit anderen Lebewesen relativ eingeschränkt in seiner Perzeption. «Auch unsere Umwelt ist begrenzt; es fühlt sich nur nicht so an.» Hunde sehen die Welt nur zweifarbig in Weiss, Schwarz, Blau und Gelb. Das ist allgemein bekannt. Doch mit ihren feinen Nasenschlitzen sind sie Meister des Geruchssinns. Schlangen riechen über ihre gespaltene Zunge, können Gerüche über weite Entfernungen erspüren, wobei sie die Zeitdifferenz wahrnehmen, die zwischen dem Auftreffen der Duftmoleküle auf der linken und rechten Zungenspitze liegt. Springspinnen sehen Bewegungen und Farben mit verschiedenen Augen. Die meisten Laute die Elefanten werden unten in der Kehle produziert, und wir Menschen können sie gar nicht vernehmen. Es sind Infraschalllaute, die sie verstärken, indem sie ihren Rüssel auf den Boden drücken, um die Laute zu übertragen. Die Infraschalllaute konnten Wissenschaftler noch in 50 Kilometern Entfernung nachweisen. Als erwiesen gilt, dass Elefanten auf mindestens bis zu zehn Kilometer kommunizieren können. Wir erfahren, dass die Schuppen im Gesicht eines Krokodils so berührungsempfindlich sind wie die Fingerspitzen eines verliebten Menschen. Die Druckrezeptoren zwischen den Zähnen von Alligatoren verraten ihnen, ob die Wellen im Wasser durch ein Beutetier erzeugt werden. 13 Kapitel über die tierische Wahrnehmung, von Geruch und Geschmack über Farben und Schmerzen bis zu Echos und elektrischen Feldern.
«Manche Tiere hören Geräusche, wo für uns vollkommenes Schweigen zu herrschen scheint, sie sehen Farben, wo es für uns vollkommen dunkel ist, und spüren Schwingungen, obwohl für uns alles bewegungslos ist.»
Ein Riesenkalmar erkennt mit seinen fußballgroßen Augen seinen Feind: den Pottwal. Der Kopf übernimmt das Sehen und das Hirn steckt in den Armen verteilt, die unabhängig selbst greifen, tasten und schmecken könne. Schon mal von den Farben Grurpur, Rurpur und Gurpur gehört? So bezeichnet Yong die Ultraschallfarben des Kolibris. Der Wels schmeckt mit dem gesamten Körper, denn auf seiner gesamten Haut sind Geschmacksknospen verteilt. «Selbst wenn Tiere die gleichen Sinne besitzen wie wir, können sie eine ganz unterschiedliche Umwelt haben.» Wir erfahren, warum Blätter synchron zum Rhythmus der unhörbaren Gesänge balzender Buckelzikaden vibrieren und was für einen komplexen Sehsinn Kammmuscheln besitzen. Wir entdecken, was Bienen in Blüten sehen, was Singvögel in ihren Melodien hören. Doch indem der Mensch die Sinne der Tiere durch Lichtverschmutzung, Lärm und andere Reizüberflutungen aus dem Gleichgewicht bringt, gefährdet er die Artenvielfalt und den Reichtum der Natur. Wale verlieren die Orientierung im Meer, da der Infraschall gestört wird und der Meereslärm der Menschen stört obendrauf ihre Kommunikation. Der Lärm in den Meeren ist 30 Dezibel gestiegen. «Fahren nachts die Schiffe, hören die Buckelwale auf zu singen, Schwertwale gehen nicht mehr auf Nahrungssuche und Glattwale sind gestresst.» Wir müssen uns darüber bewusst werden, wie Lebewesen Kommunizieren. Die Sinnesorgane haben sich je nach Art im Lauf der Evolution verändert. Das eine verstärkte sich, das andere fiel sogar weg, um sich zu spezialisieren, um die Art zu erhalten. Ed Yong schreibt unterhaltend über Tiere und es ist faszinierend, wie ihre Sinnesorgane funktionieren. Und der Autor macht klar, dass die Artenvielfalt zu erhalten ist. Denn oft ist es so, dass ein Artensterben ein weiteres nach sich zieht, weil in der Natur das eine vom anderen abhängt. In einigen Waldgebieten ist durch die Gasgewinnung der Woodhousehäher gefährdet – Vögel, die die Kiefern im Wald verteilen. Ein wichtiges Buch, das man lesen sollte – spannend, unterhaltsames, ein erzählendes Sachbuch das aufklärt. uns erklärt, dass wir nicht allein auf der Erde wohnen.
«Die Majestät der Natur beschränkt sich nicht auf Schluchten und Berge. Wir finden sie auch in der Wildnis der Wahrnehmung, den Sinnesräumen, die außerhalb unserer Umwelt und innerhalb der Umwelt anderer Tiere liegen. Die Welt durch andere Sinne wahrzunehmen heißt, Pracht im Vertrauten und das Heilige im Banalen zu finden.»