Unter den deutschsprachigen Schriftstellern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es nicht viele, deren Namen noch heute jenseits von Fachkreisen geläufig sind, deren Werke noch heute ein großes Lesepublikum ansprechen. Zu den Schriftstellern, bei denen dies der Fall ist, gehört unzweifelhaft Lion Feuchtwanger (1884-1958). Er ist heute nur noch als Romanautor bekannt, obgleich er seine frühen Erfolge (bis Mitte der 1920er Jahre) als Dramatiker erzielte. Besonders Feuchtwangers historische Romane sind unverwüstliche und immer wieder neu aufgelegte Klassiker der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Feuchtwanger war einer der kommerziell erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit, erst in Deutschland selbst und später auch in der Emigration. Seine Fähigkeit, ein großes internationales Publikum zu erreichen, hat dazu geführt, dass ihn die Literaturwissenschaft eher stiefmütterlich behandelt hat, gilt doch kommerzieller Erfolg seit jeher als vermeintlich sicherer Beleg für mangelnde künstlerische Qualität. Diese Geringschätzung seitens der Literaturkritik und der Wissenschaft teilt Feuchtwanger mit Stefan Zweig, dessen Leben viele verblüffende Parallelen zu dem Feuchtwangers aufweist (Herkunft aus dem vermögenden jüdischen Bürgertum; Publikumserfolge im deutschsprachigen Raum und weit darüber hinaus; Emigration, um nur die wichtigsten Aspekte zu nennen).
Als Feuchtwanger-Biograph steht man vor keiner leichten Aufgabe, denn der Schriftsteller geizte zeitlebens mit Stellungnahmen zu seiner Biographie und seinen Werken. Dem Münchener Historiker Andreas Heusler ist dennoch eine ausgezeichnete Biographie gelungen, die mit 300 Textseiten vergleichsweise schlank ausfällt. Man könnte über Feuchtwangers langes und ungemein produktives Leben viel dickere Bücher schreiben, aber Heusler konzentriert sich auf das Wesentliche, und er tut dies in einer Weise, dass aus Sicht des Lesers (fast) keine Wünsche offen bleiben. Allenfalls hätte Heusler Feuchtwangers umfangreiches Werk einer abschließenden Gesamtwürdigung unterziehen können. Welcher Platz dem Schriftsteller in der deutschen Literaturgeschichte zukommt, diese - sicher nicht leicht zu beantwortende - Frage lässt Heusler offen. Davon abgesehen bietet er ein farbiges, sehr gut lesbares und von erkennbarer Sympathie gegenüber dem Protagonisten getragenes Lebensbild. Heusler behandelt nicht einfach nur die wichtigsten Stationen aus Feuchtwangers Leben. Er bettet Werdegang und Schaffen des Schriftstellers in die politischen und kulturellen Zeitumstände ein. Das Münchener Kulturleben vor dem Ersten Weltkrieg, das Berliner Großstadtleben der 1920er Jahre, das Emigrantenmilieu in Frankreich und in den USA beschreibt Heusler gleichermaßen kenntnisreich. Er zeichnet ein anschauliches Bild von Feuchtwangers ambivalentem Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft, von seinem Privat- und Eheleben und von seiner gesellschaftlichen Vernetzung in Deutschland und im Exil. Knapp schildert er Entstehung und Inhalt der wichtigsten Werke des Schriftstellers. Er bemüht sich durchweg um kritische Distanz zu den Zeugnissen von Feuchtwangers Witwe Marta, die ab 1958 die Deutungshoheit über die Biographie ihres Mannes beanspruchte und das Feuchtwanger-Bild lange Zeit stark beeinflusste.
Bei aller Sympathie verklärt Heusler Feuchtwanger nicht zur Lichtgestalt. Auch weniger anziehende Persönlichkeitszüge (Gefallsucht; Gier nach sexuellen Eroberungen; Freude an der Zurschaustellung des - hart erarbeiteten - Wohlstandes) und unrühmliche Episoden kommen zur Sprache, etwa das Debakel der Reise in die Sowjetunion (1937), wo sich Feuchtwanger von den Inszenierungen des stalinistischen Regimes blenden und hinters Licht führen ließ. Sein Buch "Moskau 1937", die naive Huldigung an ein politisches System, dessen wahren Charakter Feuchtwanger nicht erkannte, löste international heftige Kritik aus. Es hatte überdies zur Folge, dass der Schriftsteller in den USA, wo er sich 1940 nach der abenteuerlichen Flucht aus Europa niedergelassen hatte, als Kommunist verdächtigt und observiert wurde. Allen, die Feuchtwanger trotz seiner Schwächen und Fehler als humanistisch gesinnten Menschen und Schriftsteller bewundern, der sich von der einschneidenden Zäsur des Exils nicht entmutigen und in seinem Schaffen hemmen ließ, bietet Heusler ein rundherum gelungenes und lesenswertes Lebensbild. Das Buch braucht den Vergleich mit Wilhelm von Sternburgs deutlich umfangreicherer Biographie (zuerst 1984 erschienen, kürzlich neu aufgelegt) nicht zu scheuen.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Juli 2014 bei Amazon gepostet)