Cover des Buches Dämmerschlaf (ISBN: 9783717521723)
Rezension zu Dämmerschlaf von Edith Wharton

Die Kunst des sinnlosen Lebens

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 11 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 11 Jahren

Ganz im Gegensatz zu dem, was sich in den "Roaring Twenties" in den Nachtclubs abspielte, war die New Yorker Oberschicht in den 20er Jahren in ein enges Korsett sozialer Normen gepresst, Scheidung war zum Beispiel undenkbar. Der Schein musste um jeden Preis aufrechterhalten werden. Um der Wirklichkeit zu entfliehen, machten die Menschen jeden neuen Trend mit, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Spiritualität.

Das ist das Leben von Pauline Manford. Sie ist mit dem Anwalt Dexter verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, Nona und Jim. Jim stammt aus ihrer ersten Ehe, aber sie hat es geschafft, dass die Gesellschaft den Fauxpas der Scheidung von ihrem ersten Mann aus dem Gedächtnis gestrichen hat. Jim ist mit Lita verheiratet und da beginnen Paulines Probleme: Lita möchte auf die Bühne, nach Hollywood, berühmt werden. Sie fühlt sich in ihrer Ehe eingeengt und möchte sich scheiden lassen, und Pauline sieht es als ihre Pflicht an einzuschreiten…

Das ist schon die ganze Handlung des Buches, die Beschreibung des Alltags hauptsächlich von Pauline, zum Teil auch von Dexter und Nona. Paulines Tagesablauf ist straff durchorganisiert. Sie hält sich sklavisch an ihren Terminkalender und sollte sie zufällig einmal eine freie Minute haben, wird sie panisch und weiß nicht, was sie machen soll. Der Satz "Eisern machte sie sich ans Entspannen" (S. 166) fasst ihre Einstellung sehr gut zusammen. Als wohlhabende Frau wird sie für viele gute Zwecke eingespannt und als Rednerin zu Veranstaltungen eingeladen. Dass sich die Ziele der Veranstaltungen auch mal widersprechen, stört sie nicht; sie findet schon einen Zusammenhang. Aber eigentlich ist ihr Leben völlig sinnlos.

Dexter arbeitet den ganzen Tag und muss abends seinen gesellschaftlichen Pflichten nachgehen, die ihm von Pauline auferlegt werden. Erst als die Stabilität der Familie durch Lita ins Schwanken gerät und er auch eingreift, fängt er an, über sein Leben nachzudenken und erkennt, wie falsch alles und jeder um ihn herum ist.

Nona ist die einzige, die weiß, dass alle Menschen in ihrer Umgebung nur eine Rolle spielen, um den sozialen Normen zu genügen, aber auch sie schafft es nicht, sich davon zu lösen.

"Dämmerschlaf" ist weniger ein Roman mit einer Handlung als eine Studie über die Familie Manford, wobei die Kritik aus Nonas Sicht stammt. Aber die Beobachtungen sind so scharf und treffend und durch Edith Wharton meisterhaft formuliert, dass die einfache Handlung und die fehlende Spannung dem Buch nicht schaden. Beim Lesen war mir auch selten bewusst, dass sich die Handlung vor fast 100 Jahren abspielt. Alles klingt so modern und man merkt, dass sich die Menschen bis heute nicht sehr verändert haben…

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