Cover des Buches Am Abgrund (ISBN: 9783492055413)
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Rezension zu Am Abgrund von Edward St Aubyn

Worthülsen moderner „Heilsbringer“

von M.Lehmann-Pape vor 11 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 11 Jahren


Das spätestens seit den 60er Jahren für Sinnsucher als eine der ersten Adresse (neben Indien) geltende Kalifornien bildet den Rahmen dieses Romans von Edward St Aubyn aus dem Jahre 1998. Einen Roman, in dem der Leser, so er das ein oder andere Buch St Aubyns bereits gelesen hat, die leichte Hand und den schwingenden Stil des Autors unvermittelt wiedererkennen.

Ironisch, mit viel Sprachwitz, vor allem aber einem genauen Blick für seine Figuren und eine präzise Ausgestaltung derselben mit leichter Hand begleiten den Leser in bester Weise auf diesen gut 300 Seiten der modernen Sinnsuche und ihrer fast unglaublichen Auswüchse.

„„Diese Jacke ist ein Abbild meines Herzens“, flüsterte er Yves im Taxi zu.“

„„Und Deiner Seele?“, fragte Ives“

„“Immer und überall“, erwiderte Adam. „Mit weniger begnüge ich mich nicht““.

Wer nun sich der Frage nähert, was Jacke und Seele miteinander zu tun haben und wieweit das auf den nächsten Seiten vertieft wird, der trifft genau auf das skurrile Szenario, dass St Aubyn als äußere Suche beginnend umgehend nach innen laufen lässt.

Peter sucht Sabine, die es ihm bei einem kurzen Treffen angetan hat. Dumm nur, dass er außer Ihrem Vornamen und der groben Himmelsrichtung (Kalifornien) keine weiteren Anhaltspunkte hat. Und dennoch macht er sich auf, diese Frau zu finden.

Auf was er aber trifft sind zunächst wenig konkrete Hinweise auf die gesuchte Person, sondern Menschen unterschiedlichster Art und Persönlichkeit, die in der „Szene“ aber eines verbindet, die Suche nach Sinn und sich selbst. Natürlich nicht auf althergebrachte Weise mit „klassischen“ Ansätzen von Religionen oder Psychotherapieformen. Nein, St Aubyn führt mit viel feinem Humor den Leser und Peter mitten hinein in die esoterische Welt der Moderne.

Da, wo sich „Menschen irgendwie lohnen müssen. Entweder spirituell entwickelt oder genial sein ..... oder peinlich reich“.

Das im Übrigen macht sich umgehend bereits zu Beginn des Romans fest. Reich sein schadet auf keinen Fall, wenn man „seine Seele“ zum „Heil“ führen will. Wie bei Brooke, die ein kühle Kindheit erlebt hat und nun (vordergründig gerne und hintergründig zwanghaft) gleich zwei sich in die Weltfragen vertiefende Männer finanziell unterstützt. Geld hat sie, Persönlichkeit (noch) nicht.

Kenneth, der „Streamismus“ in sich entfaltet und entwickelt (leider ohne eine Zeile zu Papier zu bringen (das wäre ja auch nicht „streaming“ im Blick auf einen Gott, welcher der „unbewegte Beweger“ ist) und Adam, der als zynischer Gegenpol zu Kenneth die Waagschale dann wieder in die Mitte bringt zwischen „Wegdriften“ und „Niedergemacht werden“.

Klar, dass sich beide zutiefst misstrauen. Und klar, dass dies nur die Spitze des Eisbergs an selbstgezimmerten „Sinnlehren“, an „tantrischen“ Angeboten oder jedweder Form wegschwebender Pseudophilosophien darstellt. Esoterische Welten, die St Aubyn mit Genuss vor den Augen des Leser entfaltet und gerade, weil seine Figuren (später der kritische und nüchterne Peter fast selbst) das alles so ernst nehmen und versuchen, „sich darauf einzulassen“, entstehen Situationskomiken, die erfrischend flüssig zu lesen sind.

Aber auch hier und da im Verlauf der Lektüre ein leichtes Kopfschütteln hervorrufen, ob das wirklich so sein kann in dieser im Buch geschilderten Breite. Zum einen, dass Menschen dümmstes Geschwafel tiefernst behaupten, und zum anderen, dass es wirklich Menschen gibt, die das in dieser Form denen dann glauben. Aber wenn ein Science Fiction Autor eine ganze autoritäre Bewegung auf der Grundlage eines Eingreifens von Aliens in die Welt zu setzen vermag, ist das alles vielleicht doch viel mehr Realität, als man bei der Lektüre glaubt.

Hinter allen diesen Begegnungen schwingt im Übrigen ein durchaus ernstes Thema mit.

Wo denn gibt es in dieser Welt Spuren und Orientierung für das, was man wirklich sucht?

Wo wird man nicht hinters Licht geführt und sitzt einfach Spinnern auf, die sich als Gurus verkaufen (oder als Anti-Gurus). Denn die innere Suche, die ist ja seit Menschengedenken vorhanden. Aber wohl nie schwerer zu erfüllen als in der Moderne, zumindest in Kalifornien.

Ein stilistisch wunderbares Buch mit einigen Übertreibungen, aber präzisen Figuren und Darstellungen innerer Suchen.

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