Ob Schiller selbst diesen biographischen Blick auf sein Leben verstanden hätte? Ich wage es zu bezweifeln. Das Missverständnis zwischen Autor Ehrenfried Kluckert und Leser fängt ja schon im Titel an. Da steht deutlich "Ein Tag im Leben des Friedrich Schiller". Und anfangs scheint sich auch alles um den einen Tag der Flucht des jungen Friedrich und seines Freundes Streicher aus den Fängen und Diensten des würtemmbergischen Herzogs Carl Eugen zu drehen.
Aber dann geht das Chaoskarussell los. Plötzlich erinnert sich Schiller in einem Gespräch mit seiner Frau an diese Tage, während nebenan der Nachwuchs schreit. Plötzlich sitzen wir wieder mit Schillers Mutter in Stuttgart und reden über die bevorstehende Flucht, dann plötzlich Mannheim, nee doch schnell Dresden, oder doch Thüringen? Freunde, Förderer und Verleger werden ohne große Erklärung eingeführt oder tauchen ab. Eben plante er noch seine Flucht, weil ihm der Herzog das Schreiben verbieten will; jetzt kennt er schon Goethe und wird für seine Dramen gefeiert. Da sind erfrischende Freunde und reizende Anekdoten dabei, allein, es ist schwer, sie in das Leben Schillers einzuordnen. Denn obwohl die Kapitel stets mit Daten überschrieben sind, wechselt Kluckert auch innerhalb dieser scheinbar zeitlich verorteten Kapitel die Zeiten und Orte über Erinnerungen und Rückblenden. Da die Orientierung zu behalten, ist anstrengend.
Und ab der zweiten Hälfte kommt ein zweites Problem dazu: Während Kluckert zu Beginn tatsächlich viel von der Person Schiller erzählt, ihn in den Erzählungen von Wegbegleitern und seinen eigenen Aufzeichnungen sichtbar macht, hangelt er sich gen Ende nur noch an der Entstehungsgeschichte der späten Dramen entlang, Schillers wachsende Kinderschar, seine Freundschaft mit Goethe und anderen, sein Unbehagen in der Weimarer Hofgesellschaft, andere Bekanntschaften - allemal kurz gestreift.
Klar, das Buch ist dünn, man muss mit Abstrichen rechnen. Aber gerade deshalb hatte ich einen roten Faden erwartet, der durch Schillers Biographie führt. Ich mochte wirklich gern, dass Kluckert über das Schulwissen hinaus einiges an Fakten und Anekdoten (Schillers Liebe zu Meer und Wasser etwa brachte diesen auf die Idee, eine Räuber-Fortsetzung im Piratenmilieu zu schreiben), was das Buch an vielen Stellen lesenswert macht und Schiller ein wenig aus den pathosbeladenen Denkmalgesten heraustreten lässt.
Dennoch bleibt es im Gesamteindruck blass, konnte ich die Pfade dieses Buches nur dadurch verbinden, dass ich mich schon vorab mit diesem wundervoll sprühenden Idealisten beschäftigt habe. Die Krone des Unmuts setzte mir dann das schlechte Lektorat auf, bei dem einmal einer eine Mine verzieht und auf der nächsten Seite eine Miene, wo ganze Wörter fehlen oder einzelne Buchstaben. Das hätte ein Arbeitstier wie Schiller ganz sicher nicht goutiert.
Zum Schluss noch eine meiner Lieblingsanekdoten aus dem Buch, die fast den Anschein erweckt, als lebte Schiller heute, mitten in der Pegida-Wut-Welt:
"Die Dresdner sind ein vollends seichtes, zusammengeschrumpftes, unleidliches Volk, bei dem es einem nie wohl wird", sagt Schiller über sein Dresden, in dem er auf Einladung von Bekannten in den 1780ern seinen grandiosen Don Carlos schrieb.
Ehrenfried Kluckert
Alle Bücher von Ehrenfried Kluckert
DuMont Schnellkurs Mythen und Sagen
Gartenkunst in Europa
Heilige Räume
Im Gäu
"Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit"
Die Intrige
Chorgebet und Handelsmesse
Neue Rezensionen zu Ehrenfried Kluckert
Chorgebet und Handelsmesse. Vom Alltag in den gotischen Kathedralen- Ehrenfried Kluckert Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden Zum Anfang der Seite springen
Erschienen 01/2006
157 Seiten
ISBN- 13: 9783451056130
Kurzbeschreibung:
Gotische Kathedralen einmal anders. Ein spannender Ausflug ins Alltagsleben des Mittelalters. Baugeschichte und urbanes Leben. Mythos und Mystik. Die Kirche als Treffpunkt und Jahrmarkt der Eitelkeiten. Eine Zeitreise in eine faszinierende Epoche.Gotische Kathedralen einmal anders. Baugeschichte und urbanes Leben. Die Kirche als Treffpunkt und Jahrmarkt der Eitelkeiten. Eine Zeitreise in eine faszinierende Epoche.
Über den Autor:
Ehrenfried Kluckert, geboren 1944 in Hamburg, ist promovierter Kunsthistoriker und lehrte in Reutlingen und als Professor an der Universität Gießen. Heute lebt er als freier Autor im Markgräflerland/Südbaden.
Meine Meinung:
Seit ich die Universität verlassen habe, scheinen die Herren Professores etwas von Didaktik gelernt zu haben. Selten habe ich ein so interessantes und lesbares Sachbuch in den Händen gehalten.
Der Autor verwendet einen Stil, wie er in Fernsehdokumentationen über historische Epochen verwendet wird- er streut "Spielszenen" in den Text zur Auflockerung ein, in der er den Leser quasi an der Hand nimmt, mit ihm eine zeittypische Situation erlebt und danach die wissenschaftliche Erklärung und die Fakten darlegt. So begleiten wir zur Eröffnung den Scholaren beim Einsammeln seiner Schüler und zum Straßburger Münster zur Schulstunde und erfahren dabei ein bischen auch über seine Lebensumstände um dann einen Abschnit über Bildung in der Zeit der Gotik und ihre Entwicklung zu lesen. Wenn der Scholar dann mit den Schülern vor dem Münster steht, lässt er sich die Bauarbeiten erklären, dem folgt ein Abriss über mittelalterliche Bautechnik beim Kathedralenbau, so geht es weiter mit Kaufleuten und Messen, religiösem Grundverständnis und dem Verhältnis von Stadt und Kirche, einfach farbig und lebendig beschreiben. Dabei geht der im Südwesten lebende Autor vorallem auf das Münster in Freiburg und das in Straßburg als Beispiele ein, insoweit gibt es auch einige Schwarzweissabbildungen, aber auch die Geschichte des Kathedralenbaus mit St. Denis in Paris, mit Laon, Amiens, Reims und Chartres und so weiter wird erklärt.
Wer sich auch nur etwas für die mittelalterliche Gotik interessiert, für die Umstände, unter denen die handelnden Protagonisten vieler historischer Romane wirklich lebten, dem sei dieses Büchlein sehr ans Herz gelegt.
Gespräche aus der Community
Community-Statistik
in 11 Bibliotheken
von 1 Leser*innen aktuell gelesen