Die beste Freundin als liebste Feindin
von Walli_Gabs
Kurzmeinung: Anfangs verwirrend, manchmal langatmig, sehr gut geschrieben
Rezension
Als ich dieses Buch kaufte, war ich fest davon überzeugt, dass ich es lieben würde. Die Geschichte einer Frauenfreundschaft im Neapel der 1950er Jahre schien ein großartiger Roman zu sein und wurde vom Feuilleton zum Teil überschwänglich gelobt.
Und dann war ich nach 200 Seiten fast so weit, dass ich es weggelegt hätte. Es gibt in diesem Roman so viele handelnde Personen – ehrlich gesagt empfand ich schon die Tatsache, dass dem eigentlichen Text fünf Seiten mit Auflistungen der Familien und ihrer Mitglieder vorangestellt sind, als kleine Zumutung. Es hat gedauert, bis ich halbwegs den Überblick hatte und zum Beispiel Alfonso, Alfredo und Antonio einigermaßen unterscheiden konnte. Erst nach einer Weile entdeckte ich das hübsche Klapplesezeichen, in dem auch noch einmal die wichtigsten Protagonisten aufgezählt worden waren. Auf der Rückseite wurde „The Guardian“ zitiert: „Das beste Portrait einer Frauenfreundschaft, das einem in der Literatur jemals begegnet ist.“ Mein politisch unkorrekter erster Gedanke dazu war, dass diese Rezension ein Mann geschrieben haben muss. Die Freundschaft von Lenù und Lila ist sicher besonders, basiert aber zu großen Teilen auf ihrem Konkurrenzkampf. Dem Klischee nach mag Neid für Frauenfreundschaften typisch sein, die Realität sieht aber nach meiner Erfahrung zum Glück doch anders aus.
Die Erzählerin von „Meine geniale Freundin“ ist die Pförtnertochter Elena Greco, genannt Lenù. Für sie ist Lila, die Tochter des Schusters, von frühester Jugend an das Maß aller Dinge. Sie bewundert, beneidet und vergleicht unentwegt. Letztendlich stachelt die Missgunst sie zu schulischen Höchstleistungen an, die sie aufs Gymnasium führen, während der hochintelligenten, kompromisslosen Lila von ihren Eltern bereits die Mittelschule verwehrt wird. Als Leser hat mich die von Lenù empfundene, ständige Konkurrenz doch ab und an ermüdet.
Trotzdem haben mich die Schicksale der beiden jungen Mädchen nach und nach in ihren Bann gezogen. Kennt man die wichtigsten Protagonisten – ihre Familien und ihre Clique – erst einmal, findet man schließlich in ihre Welt hinein. Die Tragik, wie Lila ihre Intelligenz als 14-jährige eigentlich nur noch dafür nutzen kann, um – auf ihre Kosten – ein wohlhabenderes Leben für ihre Familie und sich zu ersinnen, hat mich berührt. Auch die Beschreibungen des armen Stadtviertels (Rione), in dem die beiden aufwachsen, ist sehr gekonnt. Die Autorin baut nach und nach einen ganzen Kosmos auf. Vermutlich ist das die Funktion des ersten Bandes dieser Tetralogie: Durch Beschreibung der Kindheit und Jugend von Lenù und Lila wird ein Fundament geschaffen für alles, was in den folgenden drei Bänden noch kommt. Vielleicht können diese mich schneller in ihren Bann ziehen als die für meinen Geschmack doch langatmigen Kindheitsbeschreibungen, die eventuell zum Großteil als Vorrede zu sehen sind. Ich bin gespannt