Nicht mal vier Seiten hat das erste Kapitel. Doch das reicht Elias Mattay, um seinen phänomenalen Kriminalroman aus einer recht ungewöhnlichen Perspektive einzuleiten. Ohne jede Vorwarnung schlägt jene Figur, die dem Buch seinen Titel gibt, zu. Das Szenario schildert der Autor als drastische Zeitlupenstudie durch die Augen einer Person, die nicht unbedingt in der Lage ist, das Unvorstellbare, welches einer furchterregenden Traumsequenz gleicht, zu erfassen und zu verstehen.
Es geschehen in relativ rascher Reihenfolge weitere Morde, die in ihrer scheinbaren Zusammenhanglosigkeit Rätsel aufgeben. Weniger Rätsel scheint es in Sachen Identität des Täters zu geben. Leserinnen und Leser ahnen es schon auf den ersten Seiten. Doch dass der Bienenmann so schnell gefasst wird, dann eher nicht ...
Was Elias Mattay hier anbietet, geht weit über den Einheitsbrei der schier nicht mehr zu überblickenden Flut an Kriminalromanen hinaus. Allein das Kennenlernen der vorgestellten Personen rechtfertigt das Lesen dieses Romans. Es ist nicht nur das Schicksal des Kommissar Roman Baer, im Zusammenhang mit seiner schwerkranken Frau, das bewegt. Die ehemalige Schulleiterin hat einen Schlaganfall erlitten und hat danach erhebliche Probleme, sich wieder zurechtzufinden.
Rührende Szenen spielen sich im privaten Rahmen ab, während Baer Befürchtungen hegt, an den aktuellen Fällen, die sich komplizierter gestalten als zunächst vermutet, zu scheitern. Erschwerend kommen harte Proben für Gewissen und Moral hinzu, da sich mit Kollegin Liv Grünberg Eventualitäten auftun, die über ein kollegiales Verhältnis hinauszugehen drohen. Auch ihr widmet der Autor eine Charakterstudie, und er leistet sich diesen Luxus im Prinzip bei allen handelnden Personen sowie Opfern in einer sehr eindringlichen Weise. Spannender und glaubwürdiger können Charakterisierungen nicht sein.
Aber auch für Landschaften und allgemeine Stimmungen besitzt Elias Mattay die Gabe, diese mit Tiefgang und im Breitbandformat zu schildern. Dunst und starker Regen an einer Uferstraße lassen einen düsteren Eindruck entstehen. "Ohne die Bojen hätte man meinen können, die Welt habe ihre Farbe verloren...". Auch Tatorte beschreibt der Autor in schauriger Präzision. Baer besitzt nicht die Abgebrühtheit lächerlich-unglaubwürdiger TV-Figuren, sondern er fürchtet sich vor dem Moment, durch den von Kriminaltechnikern ausgelegten Parcours der Schildchen mit den Tatortleitzahlen, jenem "Höllenkreis", den eigentlichen Tatort zu erreichen.
Bildhaft auch die Sichtweise aus Tätersicht. Ein Verdächtiger wird zu einem Verhör gebracht, handschellengesichert und von Sicherheitspersonal und Anwalt begleitet. Er fühlt sich wie in einer "Prozession", dem, mit ihm als "Schlachtopfer", der "Götzendienst für die blinde Justitia" folgt. Man erreicht das Verhörzimmer, und wenn das Mikrofon eingeschaltet ist und das "Publikum" hinter der Einwegscheibe bereit ist, kann die Vorstellung im "Menschenzoo" beginnen.
Mit falschen Fährten, ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden, unerwarteten Koalitionen zwischen Kollegen, massiven Zuständigkeitsproblemen und kollegialem Kampf auf der Hühnerleiter nimmt es der Autor ebenso genau wie mit deren Verstrickungen und Wirren im jeweiligen privaten Umfeld.
Die allenthalben entstehenden Bilderfluten trösten etwas über den Umstand hinweg, dass sich die Auflösung der zahlreichen Rätsel des Falles etwas kantig und allzu konstruiert darstellt. Die angedeutete falsche Fährte hätte dem Buch insofern eine Einzigartigkeit verleihen können, indem sich am Ende jene Fährte eben doch als richtig erwiesen hätte! Genau dies zu beweisen wäre ungeheuer spannend gewesen.
Das Spannungsniveau der ersten 150 Seiten flacht also leider etwas ab, was jedoch eine Kritik auf sehr hohem Niveau darstellt. Deshalb ist und bleibt "Der Bienenmann" ein vielschichtiger, komplexer Kriminalroman, der in der genannten Flut von Neuerscheinungen einen Vergleich mühelos gewinnt.
Elias Mattay
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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Der Bienenmann
Neue Rezensionen zu Elias Mattay
Eher ruhiger, psychologischer Krimi mit dennoch harten Szenen
Das der Autor im „Zivilleben“ Psychologe ist, das merkt man diesem neuen Kriminalroman von Mattay durchgehend an.
Jeder der handelnden Personen ist entweder direkt zu Beginn oder zumindest im Lauf der Geschichte in die Tiefe gehend dargestellt. Wobei Mattay dabei nicht unbedingt die Form der „Erläuterung“ verfolgt, sondern durch die Ereignisse und deren Hintergründe selbst seinen Personen Fleisch verleiht.
Sei es Baer, der alternde Kommissar, der sich kaum noch wirklich aufraffen kann und dessen Belastung und Hilflosigkeit im Leben an Szenen mit seiner Ehefrau (durch einen Schlaganfall stark mitgenommen und auch in ihrer Person verändert) oder auch in diesem ganz einfachen Versuch, im Haus für Ruhe zu sorgen dem Leser umgehend nahekommt. Dass dieser Endfünziger aber auch anders kann, das ist zu erleben, wenn er sich in den Fall hineinarbeitet und auch an den unruhigen Gefühlen einer Kollegin gegenüber. “Da geht was“, ahnt man als Leser, oder ginge zumindest.
Oder Jana Seitz, Kollegin aus einem anderen Regierungsbezirk, die Baer bei diesem überregionalen Fall begegnet. Sowohl was die kluge Eigenständigkeit der Frau angeht, wie auch ihre persönlichen „Verstrickungen“ im Dienst, Mattay schildert mit leichter Hand und dennoch nachdrücklich.
Was bei den Ermittlern nicht aufhört, sondern auch den oder die Täter miteinschließt. Wobei selbst die in der Natur lebende, lange Zeit namenlose Frau dabei Interesse beim Leser erwecken wird
Wobei Mattay schon mit der Eröffnungsszene des Romans ebenfalls dokumentiert, dass er vor der Schilderung brutaler Hörte auch unter Beteiligung eines Kindes nicht zurückschreckt (das zeigt sich an manch anderen Stellen im Krimi durchaus noch hier und da nachhaltig).
Ein Kind, das entführt wird. Von einem „Imker“, einem „Bienenmann“, so der Name, dem die Ermittler ihm geben, denn der Täter (oder Täterin) taucht im Imker-Schutzanzug auf und schlägt gnadenlos und blutig zu. In dieser Reichen-Idylle am See.
Wobei der Roman insgesamt kein sonderlich schnelles Tempo an den Tag legt, sondern sich oft in einzelnen Situationen breit auslässt und damit auch für Längen sorgt, die nicht unbedingt nötig gewesen wären. Die überraschenden Wendungen zum Schluss werden ebenfalls in einer eher langsamen Form in den Raum gesetzt, Spannung im eigentlichen Sinne, bis auf die ein oder andere detaillierte Schilderung eines Tatvorganges, kommt da über weite Strecken bis zum Ende hin nicht auf. Wobei es die allerletzten Zeilen dann doch noch einmal gewaltig ins ich haben und viele sauf den Kopf stellen, was der Leser vorher hätte denken können.
Alles in allem für Freunde des psychologischen Kriminalromans eine durchaus anregende Lektüre, die in verschiedenen Teilen aber auch sehr langsam ihren Weg nimmt.
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