Rezension zu "Fernliebe" von Ulrich Beck
Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Nicht wegen seiner Darstellungsform oder seiner Schreibweise, einer zu akademischen Darstellung oder Ähnlichem, sondern wegen seinem Inhalt. - - Gegenstand ist die sich durch Globalisierung und der zunehmenden Verschiebung von Arbeitskräfteströmen 'verglobalisierenden' zwischenmenschlichen Beziehungen. Hierzu gehören Familienstrukturen genauso wie die einfache Partnerschaft zwischen zwei Individuuen. Das Resultat sind 'Weltfamilien', die erstmal überoptimistisch als 'Zugewinn' bezeichnet werden. Hinzu kommen die vielen Ströme an wandernden, nach Arbeit suchenden Menschen, die rings um den Globus der Arbeit nachreisen und Geld in die Heimatländer verschicken. Ich gehöre nicht zur älteren Generation, sondern bin eigentlich einer von den jungen Menschen, der sich von der Globalisierung herausgefordert fühlen müsste, weil er schier unbegrenzte berufliche und private Möglichkeiten der individuellen Selbstentfaltung zu haben scheint. Doch irgendwie konnte mich Ulrich Beck von den positiven Wirkungen dieser weltumspannenden Verschiebungen nicht überzeugen: Kulturdifferenzen in Partnerschaften bringen nicht nur Bereicherungen mit sich; um den Globus ziehende Billig-Arbeitskräfte erst Recht nicht. Zerrissene, nur noch über skype kommunizierende Weltfamilien, die ihre Enkelkinder nur noch 1x jährlich oder über das Internet aufwachsen sehen, auch nicht. Sicher haben diese globalen Entwicklungen für den Einzelnen hin und wieder positive Seiten, so wie Beck es an einer Stelle bemerkt: man kümmert sich um Beruf und Karriere; Kinder, Ehemann, Familie werden als etwas Bindendes, Verpflichtendes verstanden, von dem sich die 'Arbeiter- und Erfolgsnomaden' nicht fesseln lassen wollen. Ich weiß nicht, ob ich Traditonalist und wertekonservativ bin, aber mich hat diese emotionale 'Entbindung' von Heimat, Familie und festen, berechenbaren und im warsten Sinne 'greifbaren' Beziehungen befremdet. Die gesamte Entwicklung hinterlässt einen bleiernen Geschmack auf der Zunge. Der Mensch wird als Arbeitsmasse quer über den Globus getrieben; Persönliches soll hinten angestellt werden; die Verwirklichung der Individualität - Frage hier nur, was ist sie überhaupt noch bei all der Fremddefinition - rückt allein in den Mittelpunkt. Es scheint, als wenn alles und jeder zum Getriebenen einer fremdgesteuerten Welt wird, ein ewiges Rennen im Hamsterrad.
Ulrich Beck schafft eine breit angelegte Bestandsaufnahme; weitgehend ohne persönliche Wertung, muss man lange suchen, welchem Standpunkt der Autor nahe steht. Hin und wieder fallen kritische Einwendungen. Das Buch zeigt deutlich und recht unverblümt die aktuelle Situation der 'Weltfamilie' - einer oftmals kaputten, zerrissenen, getriebenen und gehetzten Einrichtung, die man mangels 'lokaler Verbindung' eigentlich garnicht als 'Einrichtung' bezeichnen kann. Alles in allem zum Verständnis unserer globalisierten Kultur eine lohnenswerte Lektüre.