Wie kommt jemand wie ich, der selber weder Schach spielt, noch die Regeln des Spiels kennt, dazu, eine Schachbiografie zu lesen? Weil ich nach den ersten paar Seiten wusste, dass es darin genau wie der Untertitel versprach, um „Strategien für das Spiel des Lebens“ geht, und ich Menschen, die über das Leben nachdenken, sehr zugetan bin. Das tun nämlich die wenigsten, die meisten beschäftigen sich lieber mit selbst fabrizierten Problemen, die ihre Neigungen zur Rechthaberei fördern.
In jungen Jahren brachte ich Schach immer mit Sport in Verbindung, obwohl die körperliche Betätigung dabei sich doch sehr in Grenzen hält. Ich erkläre es mir so (und dieses Buch bestätigt diesen Eindruck), dass bei beiden Selbstdisziplin und Konzentration zentral, die alleinige Verantwortung fürs eigene Handeln charakteristisch sind.
„Was wäre die Welt ohne Fehler? Schlicht nicht vorstellbar, würde ich behaupten. Fehler gehören zum Leben und der Umgang mit Fehlern zählt sicher zu den grössten Herausforderungen, denen wir uns immer wieder stellen müssen. Vor allem, wenn es um unsere eigenen Fehler geht. Manchmal frage ich mich, ob wir hier bei uns – jedenfalls soweit ich das überblicken kann – nicht eine völlig falsche Kultur im Umgang mit Fehlern entwickelt haben.“
Elisabeth Pähtz spielt seit ihrem fünften Lebensjahr Schach, das sie gelehrt hat, anders als gemeinhin üblich an Fehler heranzugehen: Nicht die Fehlervermeidung, die wir in der Schule lernen, ist das Ziel, sondern eine saubere Partie zu spielen. „Schach ist im Hinblick auf Fehler brutal, denn es gibt keine Ausreden. Es sind immer deine Fehler und sie lassen sich auf dem Schachbrett auch nicht verstecken.“ Wohl deswegen spielen sogenannte Führungskräfte (was für ein Wort!) lieber Golf ...
„Im Schach kommst du immer wieder in Situationen, in denen es nicht den einen richtigen Zug gibt, sondern vielleicht zwei oder drei mögliche Züge, die alle gut sind, aber dein Spiel in komplett unterschiedliche Richtungen lenken können.“ Genau wie im richtigen Leben, denkt es so in mir.
Es ist kennzeichnend für dieses sehr gut geschriebene Buch, das es so recht eigentlich eine Anleitung fürs Leben ist. Wir sollten ein freundschaftliches Verhältnis zu Fehlern entwickeln, meint die Autorin. „In der Nachbetrachtung einer Partie war die Analyse der Fehler eigentlich immer mein bester Lehrmeister. Aus Fehlern wird man tatsächlich klug, wenn man bereit ist, sich offen und ehrlich mit ihnen auseinanderzusetzen. Im Schach wie auch sonst im Leben.“
Die Zugvarianten im Schach sind derart viele, dass sie so recht eigentlich nicht zu zählen sind, höchstens zu schätzen. „Es gibt Schätzungen, wonach es im Schach mehr Zugvarianten als Atome im Universum gibt (...) Ein Leben reicht nicht aus, um alle Varianten durchzuspielen. Jede Partie stellt dich vor neue Herausforderungen und das macht für mich die Faszination und den grossen Reiz dieses Spiels.“
Schach ist eine Männerdomäne. Woran liegt das? Möglicherweise daran, dass sich Frauen weniger für Kriegsstrategien, Angriff, Verteidigung, Schlagabtausch und Opfer, womit Schach oft in Verbindung gebracht wird, interessieren, meint die Autorin, die erfreulicherweise auch darauf hinweist, dass es bereichernd ist, dass Frauen und Männer verschieden sind („auch in ihrer Art und Weise, Schach zu denken, zu fühlen und zu spielen“). Sie plädiert für feminines Selbstbewusstsein und setzt sich dafür ein, mehr Mädchen und junge Frauen für das Schachspiel zu begeistern. „In dieser Beziehung leistet zum Beispiel die Mongolei vorbildliche Arbeit. Dort wurde Schach zum Schulfach für alle gemacht (...) man hat erkannt, dass Schach ein Spiel mit sehr vielen Facetten ist, das die Persönlichkeitsentwicklung von Mädchen wie Jungen sehr positiv beeinflusst.“ Dazu gehört auch, neben dem Training des Gedächtnisses, dass man lernt, mit Zeitdruck umzugehen und eigene Entscheidungen zu treffen.
Sie lernt, auf ihre Intuition zu vertrauen, die sich aus Wissen und Erfahrung speist. Das meint nicht etwa blindes Vertrauen in sein Bauchgefühl, sondern dass sich die Intuition schulen lässt. Durch Reflektieren, Analysieren und Wahrnehmen, welche Gefühle einen in die Irre führen könnten. “Im Schach lernt man sich selbst wirklich gut kennen, seine emotionalen, mentalen oder psychischen Stärken und Schwächen. An manchen arbeite ich bis heute.“
Fazit: Eine wunderbar inspirierende Lektüre.