Cover des Buches Donnerstags bei Kanakis (ISBN: 9783552056725)
Rezension zu Donnerstags bei Kanakis von Elisabeth de Waal

Wer findet sein Glück und wer sein Unglück?

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 10 Jahren

Kurzmeinung: Tolles Buch, interessante Charaktere und Wien in der Nachkriegszeit - ein Buch, das man gelesen haben muss!

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 10 Jahren
Als ich die Inhaltsangabe las, ging ich fest davon aus, dass sich die Geschichte hauptsächlich im Salon von Herrn Kanakis abspielen wird und das bereits am Anfang alle Personen aufeinandertreffen. Dem ist jedoch nicht so. Enttäuscht war ich deswegen nicht, denn auch so hat mir das Buch sehr gut gefallen.

Tatsächlich werden in der ersten Hälfte des Buches die Geschichten der Hauptcharaktere mehr oder weniger vorgestellt, d. h. man erkennt noch nicht so genau, wie sie schließlich zueinanderfinden. Man wird sozusagen mit den Personen bekanntgemacht und erfährt wichtige Informationen über sie.
Die Charaktere sind auf ihre Weise alle sehr interessant, sie haben ihre eigenen Ansichten, ihre Stärken und Schwächen. Sie werden alle auf unterschiedliche Weise mit der Situation der Nachkriegszeit konfrontiert. Für den Leser wird durchaus deutlich, dass es sich um Wien nach dem Krieg handelt, obwohl dies (zum Glück) nicht dauernd im Vordergrund steht. Das war ja zunächst auch meine Befürchtung: dass der Krieg und die Verfolgung zu sehr im Fokus steht und dadurch die Geschichte nur auf Nationalsozialismus beschränkt bleibt. Dem ist jedoch nicht so. Elisabeth de Waal zeigt auf, mit was die Gesellschaft in der Nachkriegszeit zu kämpfen hat, sie schildert aber auch genauso, wie die Leute versuchen, ihr Leben weiterzuleben.

Die Charaktere werden dem Leser immer vertrauter, trotzdem bleibt gefühlsmäßig eine gewisse Distanz, die ich aber nicht als Nachteil werte. Sie passt zum Erzählstil de Waals.
An manchen Stellen geschehen manche Dinge doch recht schnell, z. B. was das Zustandekommen des Zusammentreffens der einzelnen Charaktere betrifft. Dies kann im ersten Moment zwar als recht abrupt empfunden werden, in meinen Augen trägt es jedoch dazu bei, dass die Geschichte in Gang kommt und nicht unnötig vor sich hinplätschert.

Besonders interessant fand ich die Person des Grafen Lorenzo Grein-Lauterbach und seine Beziehung zu Herrn Kanakis. Sie erinnerte mich an manchen Stellen an Oscar Wildes Dorian Gray und verstärkte dadurch nocheinmal den Eindruck, dass es Kanakis und Lorenzo (Bimbo genannt) größtenteils um oberflächlichles Amüsement ging.
Marie-Theres war mir ebenfalls auf ihre Art und Weise sympathisch. Sie wirkte in Amerika doch irgendwie verloren und hoffte nun, in Wien endlich das zu finden, wonach sie suchte. Hier verflichtet sich ganz leicht eine Geschichte, ums Erwachsenwerden.
Professor Adler muss als Jude wieder neu in Wien anknüpfen, was gar nicht so leicht ist. Seine Euphorie, nach Wien zurückzukehren, schwindet schnell, als er merkt, wie viel sich verändert hat. Doch als er zu erkennen beginnt, dass er sich ein neues Leben aufbauen muss, um in Wien wieder neu beginnen zu können, kehrt seine Euphorie wieder zurück.

Elisabeth de Waal zeigt ein Gesellschaftsbild der Nachkriegszeit, welches sie am eigenen Leib erfahren hat und deshalb umso mehr Authentizität besitzt. Hoffnung und Verzweiflung - beides ist möglich im Wien der Nachkriegszeit. „Donnerstags bei Kanakis" ist ein Buch, das man so schnell nicht vergessen kann. Von mir aus hätte das Buch noch deutlich mehr Seiten haben können, so ungern wollte ich es aus der Hand legen.
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