Rezension zu "Oh, William!" von Elizabeth Strout
Dieses Buch war meine erste Bekanntschaft mit Lucy Barton, mit der ich mir nun ganz wunderbar ausufernde Telefongespräche vorstellen kann, in denen sie von ihrem Leben erzählt, von ihrem ersten Mann, William, von dem sie nun schon lange getrennt ist und mit dem sie doch irgendwie noch immer verbunden ist, nicht nur durch die gemeinsamen Kinder, sondern auch durch ein tiefes Verständnis voneinander. In "Oh William" meldet sich der mittlerweile über 70-jährige William bei ihr - er benötigt ihre Hilfe und gemeinsam machen die beiden sich auf eine überraschende Reise.
Die Figuren von Strout sind lebensecht, sie offenbaren die kleinen Unzulänglichkeiten, die verschrobenen Eigenheiten, die Dellen, die glattgebügelt werden sollen und uns stattdessen oftmals ein Leben lang begleiten. Dieser ehrliche Blick der Autorin hat keine Schärfe, ihre Figuren wandeln im Lichte der Empathie und Menschenfreundlichkeit. Dass Menschen sich aneinander stoßen, dass Beziehungen mit geliebten Menschen holpern und stottern, sich festfahren und neue Wege einschlagen, stellt Strout nicht als Scheitern dar, es sind die mehr oder minder erfolgreichen und doch aufrichtigen Versuche, zwei derart komplexe Wesen miteinander in Einklang zu bringen. Für die Erklärungen, die Lucy und William für ihre Schwierigkeiten in der Beziehung suchen (das Trauma durch die deutsche Herkunft, die Suche nach Autoritäten, ...), war mir das Buch etwas zu kurz, hier hätte es für mich vieldeutig bleiben dürfen. Die gemeinsame Reise der beiden ist immer wieder durch Rückblicke unterbrochen, beide streben nach Erklärungen, nach Verarbeitung, nach Heilung, sie teilen ihre Ängste miteinander, die durchlebten Krisen und nach und nach auch gut behütete Familiengeheimnisse. Das Leben verläuft selten geradlinig und Strout spürt die Unebenheiten meisterhaft auf und fügt sie wie beiläufig in die leichten und doch vertraulichen und vor allem äußerst authentischen Erzählungen der Lucy Barton. Ein weiteres Buch, welches ich durch den Booker-Preis entdeckt habe, "Oh William" hat es sogar auf die Shortlist geschafft.