Cover des Buches Die Unvollkommenheit der Liebe (ISBN: 9783630875095)
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Rezension zu Die Unvollkommenheit der Liebe von Elizabeth Strout

Ein armes Mädchen aus Amgash, das seine Mama liebhatte

von leselea vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Interessante Erzählsituation mit durchaus starken Szenen. Letztendlich blieb mir der Roman aber zu nichtssagend und zu belanglos.

Rezension

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leseleavor 7 Jahren

Sie schreiben über einen Mann, der jeden einzelnen Tag seines Lebens zerquält wird von dem, was er im Krieg getan hat. Sie schreiben über eine Ehefrau, die bei ihm geblieben ist, weil das in dieser Generation so üblich war, und diese Frau kommt zu ihrer Tochter ins Krankenhaus und erzählt zwanghaft von lauter kaputten Ehen, sie merkt es selber gar nicht, es ist ihr überhaupt nicht bewusst, Sie schreiben über eine Mutter, die ihre Tochter liebt. Unvollkommen. (S. 114)

Lucy Barton erzählt ihre Geschichte. Sie beginnt im Krankenhaus, in dem Lucy einmal in ihrem Leben für längere Zeit liegen muss, da sie an einer unerklärlichen, jedoch lebensbedrohlichen Infektion erkrankt. Eines Tages sitzt überraschenderweise ihre Mutter am Fuße ihres Bettes – ihre Mutter, die sie nicht mehr gesehen hat, seitdem sie ihr Zuhause in Illinois verlassen hat. Ihre Mutter erzählt von den Lebenswegen alter Bekannten und stellt Lucy damit doch unbewusst den eigenen Lebensweg vor Augen: die Kindheit in Armut, geprägt von Misshandlungen und Lieblosigkeit; die Erkenntnis, Schriftstellerin werden zu müssen; ihre Ehe, aus der zwei wunderbare Kinder hervorgegangen sind, und die doch keinen festen Halt findet…

Elizabeth Strout ist eine preisgekrönte amerikanische Autorin. Für ihren Roman Mit Blick aufs Meer bekam sie 2009 den Pulitzer-Preis. Die Unvollkommenheit der Liebe stand auf der Longlist des Man Booker Prize und scheint mir auch von der Leserschaft insgesamt sehr positiv bewertet worden zu sein. Mich persönlich konnte Strout mit ihrem Roman allerdings nicht begeistern, zu gewöhnlich und nichtssagend – und nicht wie vom Klappentext angekündigt „ aufrüttelnd[], wahrhaftig[], unvergesslich[]“ – kam mir die Geschichte daher.

Dabei gefällt mir die gewählte Erzählweise von Strout prinzipiell sehr gut: Sie lässt Lucy rückblickend auf ihr Leben schauen und sich dabei vor allem in die Tage im Krankenhaus zurückversetzen. Diese werden durch zwei Faktoren bestimmt: Lucy ist gebeutelt von ihrer mysteriösen Krankheit auf sich selbst zurückgeworfen. Gleichzeitig tritt ihre Mutter wieder in ihr Leben und beginnt, Sherazade ähnlich, zu erzählen – zwar nicht, um den Tod abzuwenden, aber doch um das Eigentliche, was zwischen ihr und ihrer Tochter liegt, nicht in Worte fassen zu müssen. Generell ist Erzählen – ob mündlich oder schriftlich – immer wieder ein Thema des Romans, ist Lucy doch selber Schriftstellerin und wird in ihren Erinnerungen auch immer wieder ein Schreibworkshop bei einer bekannten Autorin zum Thema gemacht. Wer mich kennt, weiß ich, dass ich großer Fan von Büchern bin, die Literatur und Fiktion verhandeln, und auch Die Unvollkommenheit der Liebe konnte in diesem Fall bei mir Punkte sammeln. Der Roman bietet viel Raum zur Interpretation, versucht er doch, die Wahrheit zu fassen, ohne sie immer deutlich auszusprechen.

Gleichzeitig stellt genau diese Machart für mich ein Problem dar, wenn es darum geht, was (jenseits der Metaebene) in diesem Roman erzählt wird. Strout verhandelt (wie der furchtbar kitschige deutsche Titel schon andeutet) die unvollkommene Liebe in einer kaputten Familie, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die durch die Vergangenheit bis heute geprägt. Allein „diese Vergangenheit“ blieb mir zu wage, zu schwammig, zu weit weg von mir: Es wird immer wieder gesagt, wie „schlimm“ Lucys Kindheit war, doch die wenigen Szenen, die zur Erläuterung herangezogen werden, reichten mir nicht, um diese für mich greifbar, fühlbar zu machen. Häufig habe ich in anderen Rezensionen gelesen, dass in Strouts Zeilen so viel Ungesagtes mitschwingt – das stimmt, doch dieses Ungesagte war für mich nicht genug, um die Geschichte reizvoll zu machen, es ergab sich daraus keine Spannung, kein Konflikt. Schlimme Kindheiten haben leider Gottes viele. Was folgt daraus? Was macht das aus einem Menschen? Dies wurde mir bei Lucy – abgesehen von einigen Anekdoten – nicht klar. Der Roman weist zweifellos einige starke Szenen auf, doch sie setzten sich für mich nicht zu etwas Großem zusammen. So gemein das klingt: Lucys Leben (inklusiver schlimmer Kindheit) schien mir so belanglos, das es eigentlich nicht erzählenswert ist.

Die Unvollkommenheit der Liebe lässt sich angenehm lesen und weiß mit einer melancholischen, bisweilen traumähnlichen Atmosphäre zu gefallen. Die Sprache war mir bisweilen aber zu hölzern, Lucys Unterton mir zudem häufig zu kindlich. Insgesamt habe ich nicht das Gefühl, meine Zeit verschwendet zu haben, fühle mich nach der Lektüre aber auch nicht bereichert: Ich habe nette Lesestunden mit dem Buch verbracht, es jedoch mit einer Gleichgültigkeit und der Gewissheit, mich an diese Geschichte nicht ewig zu erinnern, zugeklappt. So komme ich abschließend zu dem Fazit, dass Die Unvollkommenheit der Liebe sicherlich kein schlechtes Buch ist, aber definitiv nicht meins!

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