Rezension zu "Intelligenz - Große Unterschiede und ihre Folgen" von Elsbeth Stern
Die beiden Autoren, Professoren an Hochschulen in Österreich und der Schweiz, setzen sich in ihrem Buch unterhaltsam, verständlich und kompetent mit dem Thema menschlicher Intelligenz auseinander und beschränken dabei (glücklicher Weise) insbesondere den medizinischen Teil auf ein notwendiges Maß.
Sie beleuchten diverse interessante Studien der letzten Jahrzehnte zu diesem Thema und bestätigen, dass Intelligenz (in Abgrenzung zu Talent und Kreativität) zwar weitgehend genetisch disponiert ist, zu ihrer vollen Entfaltung jedoch unabdingbar Anregung und Förderung insbesondere im ersten Lebensjahrzehnt, hier insbesondere in der Grundschulzeit, bedarf. Damit ist das klare Votum für mehr (ewig diskutierte und hierzulande wahrscheinlich immer Utopie bleibende) Bildungsgerechtigkeit in einem Schulsystem gesetzt, in dem nicht alle über einen Kamm geschoren werden, sondern wo jedes Kind ohne Ansehen seiner Herkunft individuelle Lernmotivation und Unterstützung erhält und die naturgegebenen Unterschiede in der Intelligenzverteilung analog der Gauß´schen Normalverteilungskurve für die Zuordnung zu weiterer Schullaufbahn und späterer Ausbildung mit berücksichtigt werden, was alle Beteiligten -Eltern, Lehrer und Schüler- letztlich entspannter und glücklicher machen würde als das heutige System, in dem der Hype um unbedingten Gymnasialbesuch, Noteninflation, hieraus resultierende Überfüllung von Universitäten mit der logischen Folge hoher Abbrecherquoten durch Überforderung alles aus dem Ruder laufen lässt. Nicht zuletzt auch in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung, in der jeder eigentlich nach seinen eigenen Fähigkeiten seinen Platz finden sollte. Die Autoren gehen in ihrem -an dieser Stelle zugegebener Maßen eher theoretischen- Denkmodell noch einen Schritt weiter, nämlich ans Ende der Grundschuldzeit einen Intelligenztest statt einer Lehrerempfehlung zur weiteren Schulwahl zu installieren.
Das Buch setzt sich gerade im gesellschaftspolitischen Bereich sehr fair und ausgewogen mit den verschiedensten Problemkreisen auseinander und schneidet dabei viele interessante Denkmodelle an, z. B. die Frage nach Einführung eines zwingend vorgeschalteten universitären Aufnahmetests im Sinne des US-amerikanischen SAT, der -bezogen auf ein weiterführendes Aufbaustudium!- den Zugang eben nur denen ermöglicht, die´s kognitiv drauf haben, und nicht den sowieso Überforderten bzw. den Aspiranten mit dem entsprechenden monetären Familienhintergrund oder sonstigen Beziehungsgeflechten. Abschließend stellen die Autoren das eigentlich selbstverständliche Votum, dass sich diesem Verfahren dann natürlich auch Interessenten für ein Lehramtsstudium stellen müssten, damit auch hier direkt bestmöglich nach Intelligenz und zumindest kognitiver Kompetenz im Interesse der Kinder unseres Landes „vorgefiltert“ wird. Interessanter Gedanke!
Ein äußerst informatives, überzeugendes Werk, das zum Nachdenken anregt und vieles treffend auf den Punkt bringt, wenn es zugegebenermaßen auch einen rein wissenschaftlich-theoretischen Hintergrund hat und mit den politischen Tatsachen in den deutschsprachigen Ländern kaum in praktischen Einklang zu bringen sein dürfte.