Cover des Buches Blau ist die Nacht (ISBN: 9783423261111)
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Rezension zu Blau ist die Nacht von Eoin McNamee

Fakt und Fiktion

von Havers vor 8 Jahren

Rezension

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Haversvor 8 Jahren

„Blau ist die Nacht“ ist nach „Blue Tango“ (2001 – nominiert für den Man Booker Prize) und „Requiem“ (2011) der Abschlussband der Blue-Trilogie des im nordirischen Kilkeel geborenen Autors Eoin McNamee. Seine Wurzeln haben ihn geprägt, denn die Zerissenheit seines Heimatlandes ist unterschwellig immer auch in seinen Geschichten präsent und wirkt direkt auf das Handeln seiner Personen ein. So auch in dem vorliegenden Roman „Blau ist die Nacht“, der rund um wahre Verbrechen aufgebaut ist.

Belfast, im April 1949: Mary McGowan, fromm katholisch, wird in ihrer Wohnung von einem Mann überfallen und so brutal attackiert, dass sie nach zweitägigem Krankenhausaufenthalt ihren Verletzungen erliegt. Der Mörder ist schnell gefunden, denn Mary kann ihn vor ihrem Tode noch identifizieren und auch weitere Zeugen können seine Identität bestätigen. Es handelt sich um Robert Taylor, einen Handwerker, der für das Opfer vor einiger Zeit Malerarbeiten erledigt hatte. Pikant ist die Täter-Opfer-Konstellation, denn Taylor ist Protestant. Und zu diesem Zeitpunkt brodeln in der nordirischen Gesellschaft bereits die religiösen Konflikte, die Jahre später diese Gesellschaft bis ins Mark erschüttern werden. Das hindert aber den verantwortlichen Generalstaatsanwalt Curran, nicht daran, auf eine Verurteilung zu drängen. Allerdings hat er nicht mit der Intervention seines engsten Vertrauten Harry Ferguson gerechnet. Ein Emporkömmling ohne Skrupel, aber mit Ambitionen, der die Spielsucht seines Chefs im Blick hat und dies für seinen eigenen Vorteil zu nutzen weiß. Er besticht hier, schüchtert dort ein und sorgt so dafür, dass Currans Geheimnisse sicher sind und Taylor freigesprochen wird.

Aber nicht nur Ferguson verschleiert Wahrheiten. Als drei Jahre später Currans neunzehnjährige Tochter Patricia ermordet wird, setzt er alles daran, die Ermittlungen zu behindern. Nicht weiter verwunderlich, denn immerhin hat er auch politische Ambitionen, und da macht sich ein Skandal nicht wirklich gut. Und der ist zu erwarten, wenn man sich die Strukturen seiner zerrütteten Familie anschaut. Er selbst ist spielsüchtig, seine labile Frau wird in die Psychiatrie eingeliefert, sein Sohn konvertiert zum Katholizismus und wird Priester, die ermordete Tochter leichtlebig mit wechselnden Männerbekanntschaften, was ihr offenbar zum Verhängnis wird. Aber es könnte auch ihre eigene Mutter im Zustand geistiger Umnachtung gewesen sein. Die Ermittlungen verlaufen im Sand, der Mord wird nicht aufgeklärt. Als schließlich 1961 eine weitere junge Frau getötet wird, sind die Parallelen zu dem Mord an Patricia offensichtlich. Curran ist überzeugt, dass er es mit dem gleichen Täter zu tun hat. Aber wieder einmal interveniert Ferguson…

Eoin McNamee entwickelt seine Geschichte nicht linear. Er verschränkt die Zeitebenen willkürlich – oder auch doch nicht - und fordert die Aufmerksamkeit des Lesers. Seine „Nacht“ ist nicht blau sondern rabenschwarz. Und diese Schwärze hat nicht nur mit der Atmosphäre in Belfast vor den als „Troubles“ bekannten Unruhen bzw. bürgerkriegsähnlichen Zuständen zu tun. Sie liegt bleiern über Nordirland, aber kriecht auch in die Seelen der Menschen. Manche verzweifeln daran, andere wissen sie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Gewalt, Intrigen, Bestechung und die politischen Verflechtungen. Der Druck, das Ich zu verleugnen, um in den Spiegel schauen zu können ohne Scham zu empfinden.

Das Spiel mit Fakten und Fiktion und die distanzierte Erzählweise auf sprachlich hohem Niveau berührt und beeindruckt, doch das Ende lässt den Leser ratlos zurück. Ohne Antworten, aber mit vielen Fragen. Lesen!

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