Rezension zu Vom Sumo, der nicht dick werden konnte von Eric-Emmanuel Schmitt
Rezension zu "Vom Sumo, der nicht dick werden konnte" von Eric-Emmanuel Schmitt
von VOWI
Rezension
VOWIvor 14 Jahren
Die Geschichte spielt im Tokio der Gegenwart und dreht sich um den Straßenjungen Jun. Im Verlauf der ersten Seiten erfährt man, dass er als Kind von zu Hause fortgelaufen ist. Immer wieder werden neue Informationen über Juns Eltern eingestreut. Juns Vater beging Selbstmord, ein ehrverletzendes Ereignis für japanische Familien, eines, über das man nicht spricht. Seine Mutter ist in den Augen Juns ein Engel. Sie liebt jeden Menschen gleich, was einerseits sehr liebenswert ist, für Jun als ihren Sohn jedoch die lebensbestimmende Frage aufwirft, warum seine Mutter ihn nicht mehr als all die anderen Menschen liebt. Für ihn zeugt das von der fehlenden Liebe seiner Mutter ihm gegenüber. Verletzt läuft er weg und verdingt sich als fliegender Händler in Tokios Straßen. Auf dieser Basis ist der Charakter Juns angelegt, nach außen hin stolz, arrogant, nichts an sich heranlassend; im Inneren zerrissen zwischen dem elenden Leben, dass er sich ausgesucht hat und dem Leben mit seiner ihm gegenüber scheinbar lieblosen Mutter, vor der er weggelaufen ist. In dem Glauben, nichts könne sich ändern, beleidigt und beschimpft er den alten Sumomeister Shomintsu, der sich trotz allem seiner annimmt, und den 15-jährigen schließlich überzeugen kann, zunächst Sumo-Kämpfe zu besuchen, um dann den Weg eines Sumo-Ringers zu gehen. Immer wieder scheitert Jun an sich selbst. Ein ums andere Mal fehlen ihm Ruhe, Konzentration und Geduld. Doch mit den Jahren lernt er dazu und meistert schließlich alle Hürden. Als meisterhafter Sumoringer findet er seinen Lebensweg und verlässt die Schule Shomintsus mit den Worten „Nicht das Ende des Weges ist das Ziel, sondern, dass man den Weg geht.“ Nach dieser Einsicht offenbart ihm sein Meister, dass sie beide verwandt sind und er ihn im Auftrag seiner Familie auf den richtigen Pfad führen sollte. Er eröffnet ihm außerdem, dass Juns Mutter an einer seltenen Krankheit leidet und ihn deshalb nicht bevorzugt lieben kann. Daraufhin kann Jun seiner Mutter verzeihen und folgt seinem Meister zu einem Besuch im Elternhaus. Ich nehme es vorweg - ich bin von dem Buch nicht begeistert, aus diesem Grund die relativ schlechte Bewertung. Es geht mir dabei nicht um den Inhalt, der recht nett ist, aus dem man jedoch hätte mehr machen können. Es geht einzig um die Umsetzung. Die Geschichte kommt daher, wie eine Dokumentation des Lebens eines Tokioter Straßenjungens, gespickt mit zahlreichen Lebensweisheiten, die - sorry - so plump in den Text gefügt wurden, dass man das Gefühl nicht los wird, der Autor hätte sich zunächst einige Lebensweisheiten herausgesucht und diese anschließend mit einer um sie herum gestrickten Geschichte zusammengefügt. Die Geschichte an sich hat einiges an Potenzial, allein es fehlt völlig an gelungenen Emotionen, die ein ums andere Mal an der Vorhersehbarkeit des Inhalts scheitern. Liebe ist plötzlich kein Gefühl mehr, sondern eher eine Gelegenheit, seine aus dem Training gewonnene persönliche Stärke und Erfahrung auf dem Weg zur Eroberung der Angebeteten zu beweisen. Wie die Begeisterung für Sumo, wie das Sumo-Training, wie das Erfahren der Meditation im Sinne der Zen-Lehre benötigt Jun genau 2 Anläufe. Zunächst scheitert er, um dann grandios als Sieger hervorzugehen. Das ist weder einfallsreich, noch faszinierend für den Leser. Das, was Bücher so interessant und mitreißend macht, besteht im Grunde darin, fremde, vielleicht auch bekannte Welten (neu) zu entdecken und für sich zu erkunden und zu erobern, sowohl inhaltlich als auch auf geistiger und emotionaler Ebene. Dem wird jedoch immer wieder durch die allgegenwärtigen Lebensweisheiten jäh Einhalt geboten, indem Dinge, die zwischen den Zeilen stehen sollten, gesagt und damit ihrer Kraft beraubt werden, den Leser mit selbst gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen durch den Text zu tragen. Mein Fazit ganz im Sinne des Straßenjungen, der erkennen muß, dass nicht alles so ist, wie es scheint: Ein gutes Cover und ein interessanter Titel führen nicht immer auch zu einem guten Buch.