Cover des Buches Der Gang vor die Hunde (ISBN: 9783038820017)
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Rezension zu Der Gang vor die Hunde von Erich Kästner

Abgesang auf die Weimarer Republik

von gretavox vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Wortgewaltig. Ein Leseerlebnis.

Rezension

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gretavoxvor 7 Jahren
1931 unter dem Titel „Fabian“ herausgebracht, aber vom Verlag wegen seiner freizügigen erotischen Schilderungen und der gesellschaftlichen Kritik entschärft, ist der Roman nun unter Kästners Wunschtitel „Der Gang vor die Hunde“ in der vom Autor ursprünglich intendierten Originalfassung erschienen, zusammen mit einem textkritischen Anhang.
Auch noch in der entschärften Version galt das Buch als dekadent und obszön und wurde 1933 von den Nazis bei der Bücherverbrennung unter dem Vorwurf der Pornografie ins Feuer geworfen.
Der Roman hat im Grunde keine richtige Handlung. Kästner lässt seine Hauptfigur, den promovierten Germanisten Jakob Fabian, meist nur bei seinem Nachnamen genannt, wie zufällig durch das Berlin der frühen Dreißigerjahre streifen und beleuchtet dabei schlaglichtartig den Zustand der Gesellschaft.
Das Buch enthält einige politische Anspielungen, die sich meist aus Fabians Zeitungslektüre speisen, so wird z.B. der Mord an Walther Rathenau erwähnt. (S. 189). Aber auch ohne allzu konkret zu werden, gelingt Kästner ein ungeschöntes Sittenbild der Großstadt in der Endphase der Weimarer Republik: die allgegenwärtige Arbeitslosigkeit, die galoppierende Inflation, die Vergnügungssucht und Dekadenz – kurz, eine Gesellschaft, die ungebremst auf die Katastrophe zusteuert. Fabians Orientierungslosigkeit und Rastlosigkeit, zwei letztendlich völlig sinnlose Todesfälle sowie der verstörende Schluss sind dabei nur konsequent.
Kästner schreibt mit einer unangestrengten Leichtigkeit, gleichzeitig frech und pointiert. Ein schönes Beispiel: „Mir wuchs der Unterleib meiner Frau sozusagen über den Kopf.“ (S. 18)
In den erotischen Passagen ist er direkt, auch wenn seine Sprache aus heutiger Sicht weniger frivol und provokant ist als vor 80 Jahren.
„Da lehnten sich zwei Trikotengel über die Brüstung. Die eine Frau war dick und blond, und ihre Brust lag auf dem Plüsch, als sei serviert. Die andere Person war mager, und ihr Gesicht sah aus, als hätte sie krumme Beine.“ (S. 47)
Nicht nur die sexuelle Freizügigkeit des „Fabian“ rief seinerzeit Empörung hervor. Mehrere Episoden, die der Zensur zum Opfer fielen, sind im „Gang vor die Hunde“ nun wieder zu finden, so z.B. das Kapitel um die Blinddarm-Operationswunde des Direktors Breitkopf (Kapitel 3) und die wunderbar spöttische Fahrt im Empörten Autobus (Kapitel 4), in der Fabian und sein Freund Labude sich über die nationalen Heiligtümer in Berlin, wie z.B. den Berliner Dom und das Brandenburger Tor, lustig machen. (S. 41)
Fast das gesamte Kapitel 14 ist die Schilderung eines scheinbar wirren Albtraums Fabians. Hinter der grotesken Überzeichnung, die in ihrer Ästhetik bisweilen an Fritz Langs „Metropolis“ erinnert, blitzt die Realität hervor: das Leben im überhitzten Berlin, wo es moralisch wie erotisch drunter und drüber geht. Dabei ist Kästner nie belehrend, und er bietet auch keine Lösungen an. Seine inhärente Kritik an denjenigen, die die politischen Verhältnisse durchschauen, sich aber abwartend passiv verhalten, hat jedoch bis heute nichts an Aktualität verloren. Kästner ist eben viel mehr als ein bekannter Kinder- und Jugendbuchautor.
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