Wenn man sich in der Welt nicht mehr zurechtfindet
von winter-chill
Rezension
Erich Kästners „Fabian“ ist eine, vor allem für die damalige Zeit, sehr provokante Großstadtsatire. Am Beispiel seines Protagonisten schildert Kästner sehr treffend den seelischen Niedergang der Berliner kurz vor Hitlers Machtergreifung: Arbeitslosigkeit, Hunger, Verzweiflung und politischer Fanatismus kennzeichnen den Zustand der in Auflösung begriffenen Gesellschaft. Während draußen der gesellschaftliche Verfall droht, treiben sich die deutschen Großstädter aber lieber in illegalen Kneipen, extravaganten Künstlerateliers oder Bordellen herum – leben in ständigem Rausch, als ob es kein Morgen gäbe. Kein Wunder, dass sich ein Moralist wie Fabian in so einer Welt nicht mehr zurechtfindet.
„Fabian“ ist ein brillantes Werk – spritzig und mit sehr viel Witz erzählt, bisweilen sehr bissig, an manchen Stellen aber auch gedankenschwer und voller Weltschmerz. Erstaunlich ist aber, wie aktuell der Roman noch heute ist. So äußert sich Fabian über die Ängste seiner Generation, eine Familie zu gründen, weil die Arbeitsverhältnisse doch so unsicher seien. Diese Gedanken könnten auch von einem Dreißigjährigen aus unserer Zeit stammen. Und Labudes Hoffnung auf eine anti-kapitalistisch gesonnene Jugend Europas erinnert an die heutige Occupy-Bewegung.