Der zweite Band von Agota Kristofs Trilogie lässt mich wieder mit Gänsehaut zurück. Irgendwie weiß ich nicht mehr, was Wirklichkeit und Fiktion ist. Aber genau das scheint die 1935 in Ungarn geborene und 1956 in die Schweiz emigrierte Autorin beabsichtigt zu haben.
Um das Buch wirklich genießen zu können, ist es angeraten, zuerst „das große Heft“ zu lesen. Denn der Inhalt baut auf der Kenntnis dieses Romans auf. Zwar wird im Laufe dieses zweiten Buches einiges erklärt, aber ich befürchte, dass die Geschichte weniger nachvollziehbar ist.
Da es mir nicht gegeben ist, den Inhalt so gut zusammenzufassen, wie dies zu Beginn des Buches geschieht, kopiere ich hier: „Lucas lebt allein im Haus der Großmutter, dem letzten Haus des Städtchens direkt an der Grenze. Er ist als einziger zurückgeblieben, denn die Großmutter, die Mutter, die kleine Schwester sind tot. Der Vater starb, als er versuchte, über den Todesstreifen zu fliehen. Nur Lucas Zwillingsbruder war die Flucht gelungen – und Lucas verlor den Spiegel seiner Seele.
Wir verfolgen die Geschichte einer seelischen Auflösung. Agota Kristof gibt nur deren Symptome bekannt: ein verwahrloster Garten, kurze Ohnmachtsanfälle, Erbrechen, die sauer gewordene Ziegenmilch im Spülstein. Die Welt um Lucas, seine Tiere, das behinderte Kind und dessen Mutter, die er bei sich aufnimmt, der Pfarrer, der Buchhändler Victor, schließlich Clara, die Bibliothekarin, die er auf seine besondere, bizarre Weise liebt – nichts vermag die Mauern seines inneren Gefängnisses zu sprengen, und er begeht einen tödlichen Fehler …“
Im Unterschied zum ersten Teil dieser Trilogie haben die Personen inzwischen Namen bekommen. Lucas entpuppt sich bereits mit 15 Jahren als sehr liebevoller Ziehvater für den Säugling Mathias. Dessen Mutter Yasmine geht in die „Hauptstadt“, weil es ihr in der grenznahen Kleinstadt zu eng ist (bezüglich der Örtlichkeiten bleibt die Autorin in diesem Buch weiterhin vage).
Die Lektüre zog mich als Leserin von der ersten Seite an in ihren Bann. Lucas führt das mit seinem Zwillingsbruder Claus begonnene „große Heft“ im gleichen schnörkellosen Stil weiter. So erfährt der Leser in unvergleichlich karger Sprache haarsträubende Entwicklungen.
Auch 25 Jahre nach der ersten (aus der französischer Sprache übersetzten) Auflage hat das Buch seinen Reiz nicht verloren!