Cover des Buches Das hier ist kein Tagebuch (ISBN: 9783772528613)
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Rezension zu Das hier ist kein Tagebuch von Erna Sassen

... und trotzdem für für Unbefugte verboten

von HeidiTroi vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Ein trauriges Thema und trotzdem eine Prise Humor

Rezension

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HeidiTroivor 8 Jahren
Offensichtlich bin ich befugt, denn wer das Tagebuch eigentlich wirklich nicht lesen soll - obwohl gerade er darauf bestanden hat, dass der sechzehnjährige Boudewjin es führt - ist der Vater. Achselzuckend akzeptiert er Bou's Regel. Ihm geht es darum, dass sich sein Sohn schreibend mit seinen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzt.
Obwohl Bou behauptet, weder etwas zu denken noch zu fühlen, leistet er dem Wunsch seines Vaters Folge und schreibt - zuerst trotzig und patzig und dann immer ausführlicher über das was ihn bewegt. Der Leser wird mitgenommen auf eine Reise in Boudewjins Vergangenheit, die düster ist. Der Junge musste zuerst mit einer psychisch kranken Mutter klarkommen und dann mit ihrem Selbstmord. Kein Wunder, dass er darauf nicht mit der "gewünschten" Trauer reagiert, sondern mit verzweifeltem Hass. Er wurde verlassen und zutiefst verletzt. Das einzige, was ihn aufrecht hält, ist die Liebe zu seiner kleinen Schwester Fussel. Bei ihr findet er Trost und Halt.

Als Boudewijn wirklich zum wiederholten Mal Mist gebaut hat, besteht der Vater darauf, dass er erstens das Tagebuch führt (jeden Tag einen Eintrag) und zweitens aus einer ausgewählten Sammlung von CDs täglich eine hört. Pergolesis "Stabat Mater" ist da ebenso dabei wie "Einstürzende Neubauten" und Boudewijn kann - obwohl er sich das anfangs nicht eingestehen will - der Musik tatsächlich etwas abgewinnen. Seine Tante nimmt ihn in ein Pflegeheim für Demenzkranke mit und in der Schule lernt er schließlich Pauline kennen. Obwohl er sich gegen eine Beziehung sperrt, ist es schließlich doch das, was den Jungen heilt und das Tagebuch endet damit, dass er seine Emailadresse hineinschreibt - ein erster Schritt zum Sich-Öffnen.

"Das hier ist kein Tagebuch" ein wirklich sehr einfühlsam geschriebenes Buch über ein Thema, das betroffen macht. Die Autorin hat es aber geschafft, es mit wohl dosierten Prisen Humor zu durchsetzen und ich habe mit großem Mitgefühl gelesen, jedoch ohne zum Schluss einen Stein im Magen davon zu tragen. Die Charaktere in der Geschichte sind glaubwürdig entwickelt. Alle Beteiligten versuchen, Boudewijn die Trauerbewältigung zu ermöglichen - mit verschiedenen Ansätzen. Die intuitive vorbehaltlose Liebe seiner Schwester gibt ihm Kraft, das verzweifelte Ultimatum des Vaters zwingt ihn zur Auseinandersetzung mit seiner Trauer, seine Tante zeigt ihm, dass es auch anderes gibt, das Betroffenheit auslösen kann und ermöglicht ihm körperliche Betätigung und Pauline steht für die Hoffnung, für eine Zukunft in Liebe, auch wenn es nicht die Lieber der Mutter ist.
Die Zitate aus der "Stabat Mater" geben dem Wer zusätzliche Tiefe und dem Leser Raum, einmal kurz im Lesen innezuhalten und das Gelesene sitzen zu lassen.

Speziell ist auch das Cover des Buchs - dicke kantige Deckel, beinahe wirken sie wie Holzdeckel, eine schwarze Fläche - so wie sich Boudewijns Seele am Anfang der Geschichte anfühlen muss.
Die Kapitel sind natürlich die einzelnen Tage, an denen der Junge schreibt. Durch die vielen Absätze und Leerzeilen bekommt das Ganze eine Art Leichtigkeit, die man eigentlich mit dem Thema nicht verbinden würde.

Ich bin wirklich restlos begeistert von dem Buch und empfehle es Jugendlichen, die Lust haben, ein bisschen in die Tiefe zu gehen.
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