Rezension zu "Die Brücke über die Drina" von Ivo Andric
Der Roman des jugoslawischen Schriftstellers Ivo Andrić erschien im Original 1945. Der deutsche Titel ist eine wörtliche Übersetzung des serbischen Originaltitels. Das Buch ist Teil der sogenannten bosnischen Trilogie, die den Autor weltberühmt machte. Der Titel bezieht sich auf die Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke in Višegrad im heutigen Bosnien-Herzegowina.
Es handelt sich um einen historischen Roman. Die Handlung beginnt mit der Geschichte vom Bau der Brücke im 16. Jahrhundert aufgrund der Stiftung des damaligen Großwesirs des Osmanischen Reiches, der aus der Gegend stammte. Zwischendurch macht der Autor große Zeitsprünge, so dass sich der Leser immer wieder neu orientieren muss, zumal Andrić mit geschichtlichen Fakten eher sparsam umgeht. Er schreibt aus einer Position des Wissenden und überlässt es dem Leser, ob er die geschichtlichen Fakten und Hintergründe dazu selbst eruieren will. Er beschränkt sich darauf, die Auswirkungen dieser Fakten auf die Schicksale und das Leben der Menschen zu erzählen. Der Roman endet mit dem Beginn des 1. Weltkriegs 1914.
Wunderbar beschreibt Andrić bestimmte Eigenheiten der Menschen, positive wie negative oder auch einfach harmlos wichtigtuerische wie die Neigung zu rückblickender Übertreibung: „Betrachtet durch den Tabaksrauch oder ein Gläschen milden Raki, änderten, vergrößerten und übertrieben Phantasie und Ferne oft diese Szenen, aber das bemerkte niemand von ihnen, und jeder hätte geschworen, dass sie wirklich so gewesen seien, denn unbewusst hatten sie sich alle an dieser unabsichtlichen Verschönerung beteiligt.“ (Ullstein Tb, 1974, S. 70) Oder das stille Abrücken von in Ungnade gefallenen Leuten: „Um ihn bildete sich jener Kreis von Einsamkeit und schwerer Stille, der sich immer um einen Menschen, den das Unglück traf, wie um ein krankes Tier bildet.“ (ebd., S. 166)
Seltsam mutete für mich an, dass als Bezeichnung für alle Fremden, also auch für die Österreicher „Schwaben“ verwendet wird. Ich frage mich, ob das wirklich so war oder ob das ein Kniff des Autors oder des Übersetzers ist. Etwas schwergetan habe ich mich zunächst mit der Sprache, die durchaus anspruchsvoll eben die Sprache von vor 80 Jahren ist. Nach einer Eingewöhnung war das Lesen aber flüssig möglich.
Auffällig fand ich, wie viele Personen der Autor in seiner Beschreibung mit roten Haaren versah. Rothaarige hätte ich nun auf dem Balkan eher selten vermutet. Am Ende macht der Autor eine spitze Bemerkung über die Deutschen: „Ihr Hauptmann, ein dicker, blonder Mann, der die Hitze schlecht vertrug, schnauzte gerade jetzt den Gendarmeriewachtmeister Danilo Repatz an, wie nur Vorgesetzte im deutschen Heer zu schnauzen vermögen, laut, rücksichtslos und pedantisch.“ (ebd., S.312/313)
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Andrić herausgearbeitet hat, dass die Menschen verschiedener Herkunft und Völker im Grunde alle liebenswerte Geschöpfe sind, denen das aber allzu oft selbst nicht bewusst ist. Als solche können die Menschen, von unbedeutenden Nickeligkeiten zwischen den Volksgruppen abgesehen, im Grunde problemlos zusammenleben. Man merkt dem Buch an, wie sehr Andrić die Menschen der Region mag. Und doch zeigt er dem Leser auch das Damoklesschwert, das ständig über solch zusammengewürfelten Gesellschaften schwebt, dass das labile Gleichgewicht leicht verloren gehen kann und dann das Verkommene und Grausame im Menschen zum Vorschein kommt. Insofern ist sein Buch eine Werbung, ein Appell für die Völkerverständigung. Vier Sterne.