Rezension zu "Hier irrte Freud : zur Kritik der psychoanalytischen Theorie und Praxis." von Eschenröder Christof T.
Bis heute hält die Faszination Sigmund Freuds an; seine Psychoanalyse ist nach wie vor gefragte psychologische Therapiemethode und seine Ideen-/Erklärungsmodelle noch immer gesellschaftlicher Konsens. Viele Ideen, Motive und Begriffe sind Kulturgut geworden und werden unhinterfragt rezipiert.
Eschenröder, selbst Diplom-Psychologie, versucht den Mythos Freud aufzubrechen. Er weist nach, dass es bereits Weggefährten Freuds gelang, dessen Theorien zu widerlegen. Dies gelang einfach durch besseres Beobachten und durch geringe Beeinflussung der Patienten. Bereits ein kritisches Lesen der Freud'schen Krankenberichte lässt ganz andere Deutungsmuster zu und hinterfragt auf diese Weise nicht nur Neurosen- oder Hysteriekonzepte Freuds, sondern auch den vielzitierten Ödipuskomplex. Doch Freud wusste geschickt mit Kritikern umzugehen: entweder wurden sie ignoriert oder gar diffamiert. So konnte sich bis weit in die 1960er Jahre eine recht unhinterfragte Freud-Anhängerschaft halten, die selbst für die 2. Frauenbewegung nach 1968 viele Denk- und Erklärungskonzepte brachte. Vieles davon ist m.E. mittlerweile - gerade wegen ihres Rückgriffes auf Freud - Makulatur.
Dass die Psychoanalyse bis heute noch immer diesen enormen Einfluss auf unser Denken hat, verdankt sie nicht nur ihrem findigen Erfinder Freud. Es ist auch die ihr immanente Logik, die scheinbare Kausalität aller Erklärungen, die ihr stetig immer wieder Plausibilität verleihen. Und dennoch hat Psychoanalyse heute wenig mit aktueller psychologischer Forschung zu tun, die weit genauere und verwertbarere Erkenntnisse für die Menschheit erzielt, als es die Psychoanalyse um Sigmund Freud je hätte erreichen können.