Eske Hicken

 4,7 Sterne bei 3 Bewertungen
Autor*in von Homeless.

Lebenslauf

Eske Hicken, geboren 1971 in Delmenhorst, ist Radio- und Fernsehreporterin. 2017 nahm sie eine berufliche Auszeit und arbeitete ein Jahr lang bei einer Organisation in Portland, die für die Rechte von Obdachlosen kämpft. Eske Hicken lebt in Frankfurt am Main.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Eske Hicken

Cover des Buches Homeless (ISBN: 9783949671098)

Homeless

(3)
Erschienen am 04.09.2023

Neue Rezensionen zu Eske Hicken

Cover des Buches Homeless (ISBN: 9783949671098)
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Rezension zu "Homeless" von Eske Hicken

awogfli
Großartiges US-Portrait der Gesellschaftsklassen

Mit diesem Roman ist ein sehr gutes Rundum-Bild einer relativ progressiven Stadt wie Portland gelungen, die sich von einer alternativen, hippen, woke-toleranten Stadt durch das drängende und eskalierende Obdachlosenproblem in einen großflächigen Problembezirk verwandelt. Dabei werden sehr viele Sichtweisen beleuchtet.

Erstens die Probleme der Wohnungslosen, die durch das amerikanische Turbokapitalismussystem ohne Krankenversorgung und soziale Absicherung bei Notfällen plötzlich ins Prekariat auf der Straße gerutscht sind. Dieses Milieu wird durch die Protagonisten Katie und John und ihre wohnungslosen Freunde beleuchtet. Dabei sind die beiden durchaus nicht aus der ungebildeten Unterschicht, sondern durch besondere Umstände wie Depression und partnerschaftliche Gewalt inklusive Stalking in diese Situation gerutscht.

Einen weiteren Blickwinkel auf die Stadt und ihre Probleme bietet die linke bildungsbürgerliche Klasse, die von Helen und Richard verkörpert wird. Sie haben sehr viel Empathie mit den Armen der Stadt, agitieren als Journalisten in einer relativ linken Zeitung auch für mehr Toleranz gegenüber den Obdachlosen, sind aber dennoch verängstigt, wenn dieselben „lieben Leute“, für die man unbedingt Verständnis zeigen soll, vor der eigenen Wohnungstür herumliegen. Da hört sich die theoretisch gelebte Toleranz nämlich auf, wenn diese Penner praktisch und real ins Leben der linken BOBO-Milieus einbrechen und die Kapital-Werte der mit harter Arbeit erworbenen Häuser in den Boden fallen lassen. Natürlich ist das immer mit ein bisschen Scham und schlechtem Gewissen verbunden, denn so wie diese anderen rechten Socken möchte man dann ja doch nicht sein, man ist ja so intellektuell und progressiv.

Hier zeichnet Eske Hicken ein großartiges Bild von Figuren und Personen aus beiden Gruppen, die überhaupt nicht schablonenhaft konzipiert sind, im Gegenteil, irgendwann entwickelt sich Katie weiter, aus ihrer Obdachlosigkeit heraus und bekommt Probleme mit John und Richard rutscht politisch ein bisschen zu den Republikanern, da er von den Problemen direkt vor der Haustür betroffen ist. In beiden Beziehungen, die ordentlich kriseln, werden die unterschiedlichen Positionen sehr interessant thematisiert, diskutiert und im Rahmen von heftigen Konflikten neu ausverhandelt. Das hat mir ausnehmend gut gefallen.

Ach ja, die letzte Gruppe der erzkonservativen rechten Recken, kommt natürlich auch nicht zu kurz, da gibt es einen Nachbarn von Richard und Helen, eine politische Initiative, die hetzt und agitiert und die Wohnungslosen in einem Überschwemmungsgebiet außerhalb der Stadt ghettoisieren und sich selbst überlassen möchte und einen irren Mörder, der des Nachts Jagd auf Obdachlose macht, sie angreift, ihre Zelte mit Spiritus überschüttet und sie alle verbrennen will. Ein paar Todesfälle hat es auch schon gegeben.

Ihr seht also, auch im Plot tut sich auch einiges, gesellschaftlich, journalistisch und auch politisch, denn es wird sehr gut und spannend thematisiert, dass der Straftäter, der aus dem rechten Milieu zu kommen scheint, durchaus auch bei der Polizei arbeiten könnte und von den Kollegen gedeckt wird. Diese und andere Missstände decken Helen und ein paar Kollegen bei der Zeitung auf, die sich übrigens auch gerade in einem Umbruch befindet, was die Figurenentwicklung von Richard enorm vorantreibt.

Zudem wird großartig beschrieben, wie Obdachlose ihren Tag verbringen (müssen), ständig auf der Suche nach einer Dusche, nach Essen und Schlafplätzen, quer durch die Stadt fahrend, da die unterschiedlichen Einrichtungen so weit voneinander entfernt an der Peripherie sind. Da ist schnell der gesamte Tag ausgefüllt, sich die grundlegenden Bedürfnisse zu organisieren. Katie hat ja anfangs noch einen Job, der ihr aber nicht das nötige Geld für eine Unterkunft sichert. Sie ist somit Working poor und verliert diese letzte Stütze, als nach und nach herauskommt, dass sie obdachlos ist und teilweise eben keine Möglichkeit zum Duschen findet. Das war extrem erhellend und spannend, wie sehr dieser Stress an den Leuten nagt und dann noch zusätzlich der mangelnde Schlaf dazukommt, da es auf der Straße und in den Unterkunfts-Einrichtungen auch sehr laut und gefährlich ist.

Ein Aspekt des Romans hat mir weniger gefallen. Um möglichst ein breites Stimmungsbild der Stadt zu präsentieren, wendet die Autorin Szenenwechsel und Figurenwechsel inflationär wie mit dem Stroboskop an. Der Text ist sehr kleinteilig fragmentiert, manchmal nur ein paar Zeilen oder nur zwei Absätze. Dadurch erscheinen die handelnden Personen über weite Strecken sehr oberflächlich, aber irgendwann bekommen sie durch die kleinen Schnipsel, die von der Rezeption her mühsam zusammengesetzt werden müssen, gegen Ende des Romans ordentlich Tiefe und Entwicklungspotenzial. Vielleicht war ich da zu Beginn ein bisschen zu streng, aber ich habe hier immer Derry von Stephen King als Qualitätsstandard im Sinn, der mich trotz der vielen Szenenwechsel schon von der ersten Seite an bezüglich Lokalkolorit der Stadt und Figurentiefe gepackt hat. Bei diesem Roman dauerte es bei mir bis mehr als über die Hälfte, bis sich hier eine Beziehung zu den Figuren aufbauen konnte.

Fazit: Trotz der kleinen Schwächen zu Beginn ob der häufigen Szenen- und Figurenwechsel ein Roman, den ich wärmstens empfehlen kann, weil er im Finale alles auflöst, was er zu Beginn verspricht: Eine differenzierte, intensive politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Problem von Armut und Obdachlosigkeit. Spannungen zwischen mehreren gesellschaftlichen Milieus, nicht nur an der Oberfläche gekratzt und thematisiert, sondern tiefergehend mit vielen Facetten analysiert, ein sehr interessanter packender Plot und das Sittenbild einer modernen alternativen hippen Großstadt, die arg an ihrer Armutsproblematik krankt.

Cover des Buches Homeless (ISBN: 9783949671098)
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Rezension zu "Homeless" von Eske Hicken

campino246
Wichtiges Thema

Portland: Helen und Richard arbeiten als Journalisten. Dadurch können sie gut leben in der Stadt. Doch da ist diese eine Obdachlose in der Straße, die beide beunruhigt.

John ist schon lange auf der Straße und Katie ist gerade erst obdachlos geworden.


Das Buch wird aus den vier Perspektiven erzählt. Dabei werden sehr verschiedene Sichtweisen zum Thema Obdachlosigkeit aufgegriffen. Durch die Arbeit als Journalisten haben Helen und Richard auch den Blick auf die extreme Abneigung gegen Obdachlose. 


Dazwischen bekommt man immer wieder einen Blick auf die Stadt Portland mit vielen unterschiedlichen Facetten. Das hat mir gut gefallen und man bekommt doch auch Lust auf diese Stadt.


Zu Beginn habe ich mich etwas schwer getan, weil unklar ist in welche Richtung das Buch geht. Doch nachdem ich die verschiedenen Personen einordnen konnte, hat mich die Geschichte sehr interessiert. Der rote Faden, der die Geschichten verbindet, sorgt für eine gewisse Spannung/Angst. 


Es ist ein Thema, dem man gerne ausweichen möchte. Ich finde die Erzählung öffnet einem die Augen für das Thema. Auch dass es keine einfachen Lösungen gibt.

Cover des Buches Homeless (ISBN: 9783949671098)
D

Rezension zu "Homeless" von Eske Hicken

die_buecherweltenbummlerin
Eines der eindringlichsten Bücher des Jahres

Katie achtet auf Sams Atem. Wenn er ruhig atmet, schläft er. Wenn es ihr gelingt, die Schlafzimmertür zu öffnen, ohne dass Sam aufwacht, hat sie es geschafft. 

John achtet auf seine Umgebung. Raub, Schläge, Regen und Ratten gehören zu seiner alltäglichen Bedrohung. Wenn es ihm gelingt, zu seinem Zelt zu kommen, ohne dass seine Kleidung komplett durchnässt wird, hat er es geschafft. Vorerst.

Helen achtet auf Richard. Er wird ihr immer fremder. Gleichzeitig achtet sie auf ihre Stimmung. Wenn es ihr gelingt, durch den Tag zu kommen, ohne im Bett liegen zu bleiben, ist das ein gutes Zeichen. 

Richard achtet auf seine Karriere. Mit dem neuen Chefredakteur stehen Veränderungen an, die hoffentlich nur seine Frau betreffen und nicht ihn. Wenn er es erstmal bis zum stellvertretenden Chefredakteur schafft, ist er in Sicherheit.

Vier Charaktere, die allesamt so unterschiedlich sind und doch durch eines verbunden werden – Portland.

Portland ist eine der hippsten Städte der USA. Hier lebt, wer sich als alternativ, weltoffen und tolerant versteht. Hier kommen all diejenigen her, die ein bewusstes Leben bevorzugen. Die sich lieber vegan und vom Biomarkt ernähren als von Mc Donald´s. Die Black-Lives-Matter-Schilder in ihrem Garten anbringen. Die entschieden gegen Trump stehen. Die Hipster. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass ihre Ignoranz unübertroffen ist, während sie sich als moralisch überlegen charakterisieren.

Denn: Alles, wofür die Hipster in Portland stehen, machen sie mit ihrem Erscheinen kaputt. 

Vor dem Hintergrund des sich wandelnden Stadtbilds Portlands, welches mehr und mehr von den Wohnungslosen mit Zelten besiedelt wird, entsteht die rechte Bewegung Pro Portland, die zur Regierungszeit Trumps ihre Existenzberechtigung zelebriert. 

Gleichzeitig zündet ein Unbekannter die Zelte von Obdachlosen an, manchmal auch mit einem Schlafenden darin. Doch selbst die ersten Mordfälle sorgen nicht für eine Schlichtung beider Fronten von Links und Rechts. Vielmehr verschärfen sich die Grenzen, sodass die Bevölkerung stärker gezwungen ist, Stellung zu beziehen.

„Homeless“ ist ein Roman, der so intensiv ist, dass es manchmal weh tut. Keine andere Autorin hat es bislang geschafft, das Leben auf der Straße so eindrücklich zu beschreiben wie Eske Hicken es in ihrem Roman tut. 

Eske Hicken beweist nach ihren einjährigen Recherchen in Portland, wie absurd die Entwicklung einer Gesellschaft verläuft, die ihre Augen vor Problemen verschließt. Gleichzeitig ist „Homeless“ eine Dokumentation einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, deren Zugehörige so weit voneinander entfernt sind, dass sie keinerlei Berührungspunkte teilen.

Eines der bislang eindringlichsten Bücher des Jahres!

Eske Hicken, Homeless, Edition W, 2023.


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