Rezension zu "Öl und Blut im Orient" von Essad Bey
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 gibt es fünf Anrainerstaaten am Kaspischen Meer: Russland, Turkmenistan, Kasachstan, Aserbaidschan und Iran. „Jetzt gibt es eine Einigung: Auf ihrem Gipfeltreffen im kasachischen Küstenort Aktau haben sich die Staatschefs im Grundsatz auf eine Aufteilung des rohstoffreichen Sees geeinigt – sie unterzeichneten eine entsprechende Übereinkunft. Damit ist der Weg frei für eine stärkere Förderung von Erdöl und Gas in der Region“ berichtete die Deutsche Welle am 12. August 2018.
Unter dem Kaspischen Meer lagern grosse Mengen von Gas und Öl und um diese wird schon lange gerungen. Wie heftig, brutal und rücksichtslos es im Ölgeschäft zu und her geht, darüber gibt Essad Beys Öl und Blut im Orient Aufschluss, das in der Zeit um den Ersten Weltkrieg in Baku, Aserbaidschan, spielt. Es handelt sich um einen „autobiografischen“ (die Glaubwürdigkeit, informiert die Pressemitteilung des Verlages, sei zurecht angezweifelt worden) Bericht, der die damaligen Zustände ungemein farbig schildert und mich zum Staunen und zum Lachen brachte und wiedereinmal die Einsicht verstärkte, dass es sich beim Menschen um eine wenig erfreuliche Spezies oder drastischer gesagt, um ein nur schwer zu bändigendes Tier handelt.
Das Ölgeschäft, dachte es so in mir, ist wohl ähnlich dem Baugeschäft in New York, Chicago, Moskau oder São Paulo, und vermutlich weniger von der Liebe zur Literatur und anderem Schöngeistigen geprägt als von den primitivsten Instinkten, die vornehmlich den Menschen eigen zu sein scheinen. „Unter russischen Kaufleuten gibt es das Sprichwort: ‚Wer ein Jahr unter Bakus Ölbesitzern lebte, kann nie wieder ein anständiger Mensch werden'“. Essad Bey war der Sohn eines solchen Ölbesitzers, floh im Alter von 16 Jahren vor den Bolschewisten nach Berlin, konvertierte dort zum Islam und schrieb mit Öl und Blut im Orient einen aberwitzigen, informativen und meinungsstarken Text, der mich einerseits dauernd zum Losprusten brachte und mir andererseits Einblick in eine Weltgegend gab, die mir bis anhin ebenso unbekannt war wie das Ölgeschäft. „Man scheute vor nichts zurück, man brauchte sich auch vor nichts und niemandem zu scheuen, man war ja im Orient, wo Recht und Unrecht seit jeher dehnbare Begriffe sind. Auch untereinander hielt man Fairness nicht für angebracht. Den Begriff ‚fair‘ gab es überhaupt nicht, vielleicht noch bei den Grössten, die sich auch diese Marotte mitunter leisteten.“
Nicht nur auf den Ölfeldern Aserbaidschans, sondern auch auf den mexikanischen und venezolanischen und genau so in den Goldminen von Alaska und bei den Diamantensuchern Südafrikas „herrschten dieselben Verhältnisse, dieselbe Brutalität, Betrug und List, mit denen ein Häuflein Abenteurer ihren eben errafften Reichtum zu schützen wusste.“ Befreit man sich von ideologischen Scheuklappen und Wunschdenken, so beschreibt das auch die heutige Welt trefflich.
Von den Jassaien im Norden Aserbaidschans berichtet Essad Bey, bei denen die Hände der Männer keine Arbeit verrichten dürfen und die deshalb den ganzen Tag ausgestreckt unter grossen Nussbäumen verbringen, zum Himmel emporblicken und über die Weisheit ihrer Vorfahren nachdenken, die ihnen die Arbeit verboten haben. Oder dass in Südaserbaidschan „die bekannte Hörnerfrisur“ getragen wird, “ das heisst, die Haare werden in der Mitte des Schädels von der Seite bis zum Nacken in einer geraden, breiten Linie ausrasiert und hängen rechts und links ungeschnitten herab. Sie werden oft so gekämmt, dass sie nach vorn hängen und unter dem kleinen, schwarzen Fez, der den rasierten Schädel bedeckt, wie zwei gebogene Hörner aussehen.“
Gänzlich unbekannt war mir auch, dass in den unendlichen Sandwüsten Turkestans und Persiens der Karawanenführer, der ‚Tschalwadar‘, der Herrscher ist, denn „mit seinem fast tierischen Instinkt kann der Führer auf weite Entfernungen hin das Vorhandensein von Wasser buchstäblich riechen.“ Und von Persien erfahre ich, dass es „die üppigsten Gärten, Felder und Wälder, tropische Palmen und unendliche Wüsten und dazu die ältesten Ruinen der Menschheit“ besitzt, jedoch praktisch unbewohnt ist. (Das Land zählte damals 10 Millionen Einwohner, heute über 80 Millionen).
Als ich lese: „Der Orient kennt Massaker, blutige Tage, tierische Grausamkeit, die sich sozusagen explosionsartig entlädt, aber bald wieder dem angeborenen Phlegma der Bevölkerung Platz macht“, geht mir Raphael Patais The Arab Mind(Erstveröffentlichung 1973) durch den Kopf, der die Beduinen (und allgemein die Araber) ganz ähnlich beschrieb. Explosive Eruptionen, gefolgt von phlegmatischen Phasen – keine wirklich beruhigende Kombination.
Öl und Blut im Orient wurde erstmals 1929 veröffentlicht. Schön, dass es dieses Buch in dieser tollen Aufmachung (Hardcover mit Buchschlaufe, bedruckter Einband, Vor- und Nachsatzpapier, Fadenheftung) wieder gibt.