Für Berlinerinnen, Münchnerinnen, Hamburgerinnen, von mir aus auch noch Leipzigerinnen und Stuttgarterinnen ist es vermutlich ganz normal, eine weibliche Erzählerin, eine Stimme zu haben, die den eigenen Lebensraum in der eigenen Stadt innerhalb eines Romans beschreibt. Für Münsteranerinnen – korrigiert mich, wenn ich falsch liege – ist das allerdings nicht der Standard.
Hier erzählen meistens Privatdetektive, Kommissare und Pathologen jenseits der 50 was aus ihrem (Berufs-)Alltag. Nicht immer was für uns, jüngere Frauen unter oder um die 30, die wir eher bei unseren Eltern auf dem Sofa liegen, in der Heimat, und kaum dass wir aus Münster raus sind hören „guck mal, kennste das?“ und beim Blick auf den Fernseher dann direkt wieder Drohnenaufnahmen vom Prinzipalmarkt begutachten und nicken müssen: „ja Papa, da wohne ich“. Da, oder ganz in der Nähe. In Gievenbeck nämlich. Ohne mich bringt Münster endlich durch eine junge, weibliche Stimme ins Spiel. Thank you.
I’m here for the relatability and I feel seen and represented
Ich gebe es zu, was mich an „Ohne mich“ gereizt hat, waren diese drei Dinge:
- die Story spielt in Münster, und kann nicht wie der Tatort oder Wilsberg zu gefühlten 90 Prozent in Köln oder sonstwo gedreht werden – mal sehen, was ich also hier wiedererkenne!
- gescheitert fühlte ich, Mitte 20, mich im vergangenen Jahr auch, nach Burnout und dazugehörigem Jobverlust, also: genau meine Wellenlänge
- Esther Schüttpelz sieht auf dem Portraitfoto von Diogenes dem Portrait, was mein Vater von meiner Mutter gemalt hat und bei uns seit 20+ Jahren im Wohnbereich hängt, frappierend ähnlich: finde ich zumindest, meine Meinung.
Anhand dieser Indizien ergab sich also ein Leseinteresse.
This is what it came down to
Im Nachgang halte ich fest:
- Moment mal, wieso war dieses Buch jetzt schon zu Ende? Es ist doch noch gar nichts so wirklich passiert!
- Hmm. Das war eigentlich echt angenehm. Wie ein entspannter Livevlog, nur ohne stressige Werbung.
- Überhaupt habe ich die Gleichgültigkeit der Protagonistin, die sich auch im unaufgeregten Erzählstil wiederfindet, irgendwie total genossen. Mein Gehirn fand das super. Schließlich übe ich das Lesen zusammenhängender, längerer Texte noch, nach der Erschöpfungsdepression
- Auch das war dann am Ende irgendwie schön, eigentlich war der Erzählerin eigentlich doch alles gar nicht egal. Aber Jura pusht die Hustle Vibes halt, auch wenn man da gar nicht hinter steht und eigentlich Kapitalismus scheiße findet. Nice.
- Bonus: besonders verbunden gefühlt habe ich mich, als es die Schnittverletzung gab (die hab ich auch gerade, eine Lampe und vier Stiche später…), und als im Elternhaus „mitgelebt“ wurde. I do exactly this on a regular basis, oder, wie ich derzeit auf Tiktok häufig lese und denke: „Digga, wir haben doch alle einfach das gleiche Leben, die gleichen Eltern, und überhaupt: keine einzigartigen Erfahrungen!“
- Ja, die genannten Locations in Münster wirken authentisch. Test bestanden!
Allerdings, ich gebe es zu, ich habe es mir einfach gemacht und den Freund „gebraucht, in gutem Zustand“ gekauft, mit 24 geschieden. Beziehung hält seit 2015, den Philosophie-Bachelor hat er aber immer noch nicht fertig. Ich habe ihn spontan gefragt, ob wir wohl mal Schluss machen wollen, ob das seinem Abschluss wohl zuträglich sein könnte. Er denkt, eher nicht. Also lassen wir das.
Vorsichtshalber hab ich ihm das hier grad mal noch vorgelesen, er ist einverstanden.
Mein Fazit:
Ich mochte das, ich empfehle dieses Buch, ich konnte überwiegend „relaten“, auch wenn ich aus verschiedenen Gründen persönlich nie Spaß oder Nutzen im Alkoholkonsum fand, ich bin jetzt noch froher, niemals auf die Idee gekommen zu sein, Jura studieren zu wollen, und ich finde auch, der Kapitalismus gehört in die Tonne getreten. Meine Mutter hat gesagt, heirate nicht jung, mach das nicht, und ich mach das weiterhin nicht.