Rezension zu "Nacht" von Etel Adnan
Gedanken, Bildern und Stimmung in Versform
Stefan_Heimannvor 4 Jahren
Eigentlich lese ich so etwas nicht. So etwas: Ein Text in Versform, etwas zwischen Lyrik und Philosophie. Aber egal, wie es literarisch korrekt heißt, und noch mehr egal, was ich sonst so lesen und was nicht; Wichtig ist nur: Dieser Text ist richtig gut!
Etel Adnan, Schriftstellerin, Philosophin und Malerin aus Beirut, war bereits stolze 91, als 2016 ihr Buch „Nacht“ in der Edition Nautilus erschien. Häufig mag hohes Alter nicht gerade ein Qualitätsmerkmal für Geistreiches sein; Bei diesem Buch bekommt man aber schnell das Gefühl: Um so etwas zu schreiben, braucht ein Mensch Erfahrung. Und Reife.
„Nacht“ hat kein Handlung, dafür um so mehr Tiefe. Es besteht aus Gedanken, Bildern und Stimmung in Versen von zwei, drei, vier Zeilen. Und nicht selten hat mir beim Lesen ein Vers schon gereicht, um das Buch wieder wegzulegen. Nicht, weil mich die Zeilen gelangweilt haben. Sondern weil sie mir genug Gedanken für den Rest des Abends mitgeben haben.
Beispiel:
„Wasser erzeugt auf dieselbe Weise Energie,
wie Erinnerung Identität erzeugt.“
Verstanden? Dann gleich noch einmal lesen:
„Wasser erzeugt auf dieselbe Weise Energie,
wie Erinnerung Identität erzeugt.“
Schön, oder? Dabei lese ich so etwas eigentlich sonst nie. Aber „Nacht“ von Etel Adnan habe ich sogar zweimal gelesen. Direkt hintereinander weg, komplett von vorn bis hinten!