Rezension zu "Die Wendeltreppe" von Ethel Lina White
3D-Effekt auf die Ohren? Geht! Und funktioniert sogar so großartig, dass ich mich während des Krimi-Hörspiels "Die Wendeltreppe" ständig irritiert umgeschaut habe, ob nicht irgendwo im Raum ein Feuer prasselt, jemand an der Tür geklopft hat oder…sich gerade ein Mörder von hinten anschleicht! Ethel Lina Whites Buchklassiker wurde unter der Regie von Regine Ahrems in einem speziellen Verfahren aufgenommen, das sich Kunstkopfstereofonie nennt und dem Hörer suggeriert, sich mitten im Geschehen zu befinden. In einem ziemlich unheimlichen Geschehen!
Denn in der englischen Provinz geht ein Frauenmörder um. Auch das junge Dienstmädchen Helen hat an seinem freien Tag das Gefühl aus dem Wald heraus beobachtet zu werden, schafft es aber glücklich zurück ins alte Herrenhaus ihrer Arbeitgeber. Weniger gruselig ist es hier allerdings nicht. Da ist die alte, verwirrte Hausherrin Mrs. Warren, ihr Sohn, der den ganzen Tag zurückgezogen Orgel spielt, eine hartherzige Krankenpflegerin und eine trunksüchtige Haushälterin. Dann führt ein seltsamer Zufall zum anderen und plötzlich ist Helen auf sich gestellt… während draußen ein Gewitter tobt und der Mörder immer näher kommt.
Knackende Zweige und Donnergrollen - Regine Ahrems setzt bei ihrer Bearbeitung von Whites Thriller aus dem Jahr 1933 von Beginn an auf Spannung und arbeitet gezielt mit Geräuschen, die Gefahr und Bedrohlichkeit suggerieren. Bereits mit dem ersten Satz („Sie hat das Gefühl, dass ihr jemand folgt.“) hatte sie mich eingefangen und dann eine gute Stunde lang in einer Art akkustischem Klammergriff, nur unterbrochen von meinem gelegentlichen Herumfingern an der Keksdose. Da ich weder das Buch noch die berühmte Filmadaption von Robert Siodmak (1945) kenne - Asche auf mein Haupt – war die Geschichte doppelt spannend für mich. Allerdings bin ich sicher, dass auch solche, die cineastisch bewanderter sind als ich, ihre Freude an dem Hörspiel haben werden.
"Die Wendeltreppe" wurde für die rbb-Reihe „Hollywood on air“ entwickelt und zelebriert die gute alte Ära atmosphärischer Schwarz-Weiß-Thriller, bleibt dabei aber auch nah an der Buchvorlage, da Dienstmädchen Helen hier beispielsweise nicht stumm ist (was bei einem Hörspiel weitaus schwieriger umzusetzen gewesen wäre). Die Herangehensweise ist auf eine äußerst einnehmende Weise altmodisch; man sollte tatsächlich nicht meinen, dass es sich um eine moderne Produktion handelt. In Kombination mit dem effektvollen Kunstkopfverfahren, das den gesamten Raum erfasst und in Deutschland vor allem in den 70er Jahren in Hörspielarbeiten eingesetzt wurde , entwickelt die Geschichte den wohlig-unheimlichen Charme alter 50er- und 60er-Jahre-Krimis - von Miss Marple bis Edgar Wallace.
Diesem Flair passen sich auch die „Stimmen“ an, die durch die Bank mit geübten Film- und Theaterschauspielern sowie mehr oder weniger bekannten Synchronsprechern besetzt sind und eine hervorragende Arbeit leisten. Mit dabei sind unter anderem Regina Lemnitz (die Stimme von Kathy Bates und Whoppie Goldberg) und Michael Mendl (u.a. Timothy Dalton).
Die Geschichte ist auf eine gute Stunde komprimiert und lebt davon, dass alles auf die unausweichliche Konfrontation mit dem Mörder hinausläuft, weshalb die Figuren hier und da zum richtigen Zeitpunkt genau das Falsche tun, aber auch das gehört zur Krimi-Nostalgie dazu und sollte niemanden davon abhalten mit diesem wundervollen Hörspielschatz das Regenwetter zu feiern!