Wenn man die phantasievollen Romane für junge Leser der Schriftstellerin Eva Ibbotson liest, fühlt man sich unwillkürlich an die berühmte "Harry Potter"- Reihe der Britin Joanne K. Rowling erinnert und kann sich nicht der Mutmaßung erwehren, dass letztere sich einiges von der in Österreich geborenen und nach Hitlers Machtergreifung mit dem Vater nach Großbritannien ausgewanderten Ibbotson abgeschaut hat!
Da Rowling freilich etwas ganz Eigenes und Unnachahmliches daraus gemacht hat, wäre Eva Ibbotson sicher die letzte, die ihr den Blick über die Schulter vorwerfen würde. Im Gegenteil - denn in einem ihrer letzten Interviews zeigte sie sich gar stolz darüber, dass ihre Idee mit dem Bahnsteig, der in eine Parallelwelt, bei Rowling die Zauberwelt des Harry Potter, führt und den sie in ihrem drei Jahre vor Rowlings erstem "Harry Potter"- Band erschienenen Roman "Das Geheimnis von Bahnsteig 13 erfunden hat, von ihrer Kollegin übernommen und für ihre Zwecke passend gemacht wurde!
"Das Geheimnis der siebten Hexe" nun wurde bereits 1979 unter dem englischen Titel "Which Witch?" erstveröffentlicht - und Ähnlichkeiten mit der "Harry Potter"- Welt sind geradezu augenfällig! Da wird einem ganz normalen Ehepaar ein Kind geboren, das offensichtlich nicht so ist, wie andere Kinder. Es vergießt keine Tränen und hat bereits bei der Geburt den Mund voller Zähne, die es eifrig zum Beißen aller benutzt, die ihm zu nahe kommen. Gottseidank wurde es mit vernünftigen Eltern gesegnet, die der Eigenartigkeit ihres Sohnes auf den Grund gingen und, nachdem sie beim Stöbern in der örtlichen Bibliothek herausgefunden haben, dass der Junge nichts anderes als ein Zauberer sein konnte, ihr Bestes taten, um dem kleinen Arriman, wie sie ihn nannten, einmal eine weitgehend normale Kindheit und Jugend zu ermöglichen und ihn zum anderen zu einem "guten" bösen Zauberer zu erziehen. Arriman wurde, wie das bei Zauberern so üblich ist, früh selbständig, entwickelte sich sogar zu einem Prachtexemplar von Mann und trieb nach Herzenslust seine schwarze Magie, nachdem er das Schloss Darkington Hall zu seinem Domizil erwählt hatte.
Doch eines Morgens erwachte er und stellte fest, dass er des Zauberns überdrüssig geworden war und am liebsten damit aufhören würde. Von einer Wahrsagerin erfuhr er, dass binnen 999 Tagen sein Nachfolger erscheinen würde und dass er sich keine Sorgen machen müsse.
Als der Nachfolger aber nicht kam, verfiel sein Sekretär auf die Idee, dass Arriman selbst für den angekündigten neuen Zauberer sorgen müsste - indem er sich mit einer Hexe aus der Umgebung, denn nur eine solche käme in Frage, vermählte. Doch oh Schreck! Keine der Hexen fand Arrimans Billigung, denn bei ihnen handelte es sich gewiss nicht um attraktive Persönlichkeiten sondern ganz im Gegenteil um unansehnliche, gar hässliche, schrullige, zänkische, regelrecht widerwärtige Kandidatinnen, die Arriman, Feingeist und Ästhet, der er war, in tiefe Depressionen stürzte.
Dass es da aber, was bei Eva Ibbotson natürlich zu erwarten war, noch eine siebte Hexe gab, schön wie der junge Morgen und so rein wie frischgefallener Schnee, wusste der große Zauberer des Nordens nicht! Belladonna, diese siebente Hexe, käme als Kandidatin auch gar nicht in Frage, denn, so sehr sie sich auch bemühte - es wollte ihr einfach keine schwarze Magie gelingen! Im Gegenteil, wo sie ging und stand erblühte alles um sie herum anstatt zu verdorren. Dennoch nahm Belladonna, die sich auf den ersten Blick in den ansehnlichen Zaubermeister verliebt hatte, an dem Wettbewerb teil, bei dem die Hexen angehalten waren, die schwärzesten, bösesten, schrecklichsten Zauber zu beschwören, zu denen sie in der Lage waren. Die Siegerin sollte Arrimans Frau werden...
Die verzagte Belladonna mit ihren um sie herum sprießenden Begonien sah sich völlig chancenlos - doch da kam ihr das Glück in Gestalt des kleinen Waisenjungen Leonardo ( im Original Terence ) Mugg ( sollte man da nicht an Rowlings "Muggle" denken? ) und seines Regenwurms Rover zu Hilfe, in dessen Gegenwart sie plötzlich imstande war, so richtig bösen Zauber zu vollbringen! Gemeinsam mit Arrimans beiden skurrilen Angestellten, die Belladonna, wie jeder andere auch, sofort in ihr Herz geschlossen hatten, bereitete der Junge Leonardo die bezaubernde weiße Hexe, die so gerne schwarz und böse gewesen wäre, auf den Wettbewerb vor, was sich aber nicht unproblematisch gestaltete und für eine Reihe von abenteuerlichen Verwicklungen sorgte, die aber, wie das bei Eva Ibbotson nun einmal so ist, direkt in ein herzerwärmendes Happy End münden...
Doch bis es soweit ist, darf sich der Leser an einem Feuerwerk von schrägen, witzigen, originellen Einfällen erfreuen, mit denen die Autorin, der die Ideen zum Glück niemals ausgingen, ihre Geschichte würzt und mit denen man sich bestens unterhält, zumal die Warmherzigkeit, mit der Ibbotson ihre phantastischen Jugendromane als auch diejenigen für Erwachsene schreibt, aus jeder Zeile hervorlugt - obwohl es sich hier doch eigentlich um eine Schar richtig böser Hexen und Zauberer handelt und obwohl ihre schwarze Magie schon sehr makabre Blüten treibt. Dennoch sind sie sympathisch, selbst die bösesten unter ihnen, in denen aber gleichzeitig auch viel Gutes, viel Menschliches wohnt.
Auch das ist typisch für Eva Ibbotson - die von ihr kreierten, sogar die unsympathischen, Charaktere nehmen für sich ein, irgendwie, ohne dass man erklären kann, warum das so ist. Irgendwann blitzt etwas in ihnen auf, das sie dem Leser näher bringt, das ihn Verständnis fühlen lässt, vielleicht auch Mitleid. Denn so hart die Schriftstellerin auch mit denen ins Gericht geht, die anderen das Leben schwer machen - am Ende findet sie doch immer einen Weg, sie zur Besinnung kommen zu lassen, selbst wenn sie sie kurzerhand, wie die unsympathische Leiterin des Waisenhauses in unsrer Geschichte, unter der der kleine Leonardo so lange zu leiden hatte, in eine Spinne verwandelt, die dann ganz zufrieden ihrer neuen Tätigkeit als Ungeziefervernichterin im Garten nachgeht....