Rezension zu "Deutsches Haus" von Annette Hess
Frankfurt, 1963. Hier setzt die Geschichte von Annette Hess‘ Roman „Deutsches Haus“ ein. Und auch geschichtlich ist dieser Schauplatz relevant, denn im Jahr 1963 beginnt in Frankfurt der Auschwitz-Prozess, bei dem sich 22 Angeklagte wegen ihrer Beteiligung an den in Auschwitz verübten Verbrechen verantworten müssen. Genau das ist Hauptgegenstand des Romans, dessen Protagonistin Eva Bruhns als Übersetzerin am Prozess beteiligt ist.
Eva ist zu Beginn eine relativ unbedarfte, vielleicht sogar naive junge Frau – sie freut sich auf die Verlobung mit ihrem Freund Jürgen und springt zunächst kurzfristig und unwissend bei einem Übersetzungsauftrag ein. Als sie schließlich realisiert, wobei es in dem Prozess, bei dem sie die Zeug*innen-Aussagen übersetzen soll, geht, ist sie zutiefst schockiert, setzt aber auch alles daran, um zur Aufklärung beizutragen. Eva verkörpert in dem Roman von Annette Hess die Nachkriegs-Generation. Während des Zweiten Weltkriegs war sie noch ein kleines Kind und beginnt erst jetzt, im Erwachsenenalter und mit Beginn der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen in den 1960er Jahren, das ganze Ausmaß der begangenen Verbrechen zu begreifen.
Annette Hess zeichnet dabei ein erschreckend realistisches Bild der Stimmung in der Bundesrepublik 20 Jahre nach Ende des Krieges – niemand möchte etwas über die Vergangenheit wissen, niemand ist so richtig an Aufklärung interessiert und überhaupt hat ja sowieso niemand, nicht einmal ehemalige hochrangige SS-Offiziere, etwas gewusst. Der Frankfurter Auschwitz-Prozess durchbricht dieses Schweigen, dieses konsequente Wegignorieren. Hess zeigt dabei aber auch, welchen Problemen und welcher Gegenwehr aus der Bevölkerung sich die Staatsanwaltschaft stellen musste, um die in Auschwitz begangenen Morde überhaupt zur Anklage bringen zu können.
Das alles lässt sie die junge Eva Bruhns erleben und eines ist sicher – auch ihre Welt ist nicht so heil, wie sie immer geglaubt hat. Leidenschaftlich und kompromisslos setzt sie sich für die Wahrheit ein. Ihr Konflikt mit der Vergangenheit wird dabei ebenso dargestellt wie die Folgen für die Überlebenden aus Auschwitz – Annette Hess gelingt es, ein bewegendes, einfühlsames und oftmals schonungsloses Bild eines Nachkriegs-Deutschlands zu zeichnen, in dem die Opfer des Holocaust lange keinen Platz und keine Stimme hatten.
Trotz der schweren Thematik habe ich „Deutsches Haus“, das übrigens wahnsinnig gut von Eva Meckbach gelesen wird, sehr gerne gehört. Weil die Geschichte eben auch etwas Hoffnungsvolles hat – Hoffnung auf eine neue Generation, auf Aufarbeitung und Heilung. Aber natürlich ist es alles andere als leicht, die Ausreden der Täter zu hören, ihre Rechtfertigung, ihr Schweigen – aber wichtig. Ebenso wie das Buch bzw. Hörbuch kann ich übrigens auch die gleichnamige Serie aus 2023 sehr empfehlen!