Cover des Buches Das Vogelhaus (ISBN: 9783442757947)
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Rezension zu Das Vogelhaus von Eva Meijer

Zu sachlicher Stil, den selbst die schönen Auszüge mit den Vögeln nicht wieder wettmachen

von FrauPfeffertopf vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Zu viele aneinandergereihte und zu objektive Gedankenfetzen

Rezension

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FrauPfeffertopfvor 6 Jahren
Gwendolen, kurz Len, Howard widmete sich der Erforschung von Vögeln im natürlichen Lebensraum, ganz ohne die manipulativen Eingriffe anderer Forschungsrichtungen und schaffte so eine ganz neue und andere Perspektive auf die Vögel. Ihr Interesse entwickelte sich schon früh, denn auch ihr Vater war ein Naturliebhaber und zog Vögel groß. Eine andere Leidenschaft Lens führte sie aber zunächst auf die Musikschule in London. So richtig wohl fühlte sie sich dort jedoch nie und auch ihre Freunde und Liebschaft konnten sie nicht halten. So kaufte Len ein abgelegenes Haus in Sussex, um ungestört ihrem Lebenstraum nachgehen zu können.

Eine Geschichte, die mich sehr gelockt hat und die an sich auch immer noch interessant ist. Doch der Schreibstil machte für mich vieles kaputt. Die Sätze waren zu abgehackt und störten extrem. Ich könnte mir vorstellen, dass dies der Intention geschuldet war, kurze und prägnante Beschreibungen der Umgebung in Manier eines (Natur)forschers zu geben. Ein Auszug:

Die Dämmerung nistet sich zwischen den Bäumen ein. Blau wird zu Graublau, zehn Minuten, Dunkelgraublau, zwanzig, ich gehe die Anhöhe hinunter, Grauschwarz.“
Ich gehe den schmalen Pfad durch den hinteren Garten zum Fluss hinunter. Klatschmohn, Kornblumen, Raps. Die Sonne malt Muster auf meine Augenlider, Bienenkörbe, ich kneife sie zusammen..“

Solche kurzen Beobachtungen stellt Len auch in ihrer zwischenmenschlichen Umgebung an. Dies trägt aber dazu bei, dass sich über das gesamte Buch eine unüberwindbare Distanz zu den einzelnen Figuren aufbaut. Eine solche Unpersönlichkeit, dass ich vereinzelnd bis zum Ende nicht wusste, wer diese oder jene Figur ist – oder es schlicht vergessen habe. Zu diesen Figuren gehört auch ihre Familie. Ich kann nicht mit großer Sicherheit sagen, wie viele Geschwister Len überhaupt hat. Len hat sich sehr von ihnen isoliert. Von ihrer Schwester Margaret, die Len in jungen Jahren enttäuscht hat, erfährt man, nachdem Len nach London ging, gar nichts mehr. Alle Figuren sind so uninteressant, farblos und noch nicht mal großartig sympathisch. Man begegnet ihnen, sie begleiten eine Weile durch das Leben und verschwinden dann.

Gegenüber den blassen, menschlichen Figuren, werden aber Lens Vogelfreunde in sehr anschaulicher Weise beschrieben. Es waren mehr Vögel als Menschen, die einen im Buch begegnen und doch konnte ich mir die Vögel und ihre einzelnen Nachkommen besser merken und sie anhand ihrer Beschreibungen und Individualität auseinanderhalten.
Möglich, dass genau das so gewollt war. Mir kam die Beschreibung des Buchs in den Sinn: „Warum hat jemand lieber Vögel um sich, als Menschen?“. Ich verstehe Lens Einstellung gegenüber den Mensch im Allgemeinen, der sich plump und unachtsam in der Natur fortbewegt, kein Auge für die kleinen Lebewesen hat und sich für viel zu wichtig nimmt. Auch ich hatte kein Interesse an den Menschen im Buch. Lens Geschichte in London auf dem Kuratorium war einschläfernd und ich habe mich, wie sie wohl auch, nach den Vögeln gesehnt, die sie schmerzlich vermisste. Zwischendurch gibt es zwar durch Zeitsprünge einige kurze Abschnitte von 1-2 Seiten über die gemachten Erlebnisse und Beobachtungen der Vögel, aber im Großen und Ganzen erstreckt sich Lens Lebensweg in London bis etwa S. 190. Erst dann entscheidet sie sich, dem Leben in London den Rücken zu kehren und sich voll und ganz der Forschung zu widmen. Ab dann wird es interessant, aber bis dahin ist schon mehr als die Hälfte des Buchs vergangen. Man merkt, dass Lens Leben mit den Vögeln von weniger aneinandergereihten Gedankenfetzen gezeichnet ist. Ihre Beschreibungen sind nun ausführlicher, liebevoller, wärmer und weniger sachlich. Es scheint als hätte sie schließlich ihren Platz gefunden und kann unter den Tieren und in der Natur aufblühen. So wie die Vögel älter werden, sterben und die neue Brut das Haus "beschlagnahmt", wird natürlich auch Len älter. Wir haben sie seit Kindertagen begleitet, doch einen Wandel spüre ich nicht. Es wird zwar über die kleinen körperlichen Gebrechen geschimpft, doch das fortschreitende Alter würde ohne die angegebenen Jahreszahlen nicht transportiert werden. Sehr schön fand ich jedoch das Ende, was auf mich sehr beruhigend wirkte und "vogelfrei".

Ich habe großen Respekt vor der zu Unrecht vergessenen Forscherin, die eine wunderbare Herangehensweise für natürliche Experimente hatte. Durch mein Psychologiestudium bin ich mit den Experimenten des Behaviorismus vertraut, die nicht nur erschreckende Versuche mit Tieren, sondern auch mit Menschen durchführten (Man denke an den kleinen Albert). Es machte mich traurig und wütend, dass ihre Forschungen nicht anerkannt, ja sogar belächelt wurden. Dennoch fuhr sie unbehindert fort, brach mit gesellschaftlichen Konventionen, nach denen Frauen schleunigst einen Ehemann finden und Kinder bekommen sollten und schafft es schließlich sogar zu Veröffentlichungen von Büchern. Alleine zu sein, ohne Mann und Kinder, sah sie nicht als den Preis, den sie für ihre Arbeit zahlen musste. Len Howard ist eine tolle Pionierin ihrer Zeit, doch leider ist die Umsetzung ihrer erstaunlichen Geschichte nach meinem Geschmack nicht gelungen.




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