Cover des Buches Notre Dame de Dada (ISBN: 9783462048940)
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Rezension zu Notre Dame de Dada von Eva Weissweiler

Das ungewöhnliche, tragische Leben der ersten Frau von Max Ernst

von Federfee vor 6 Jahren

Rezension

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Federfeevor 6 Jahren
Der Titel klingt interessant, aber ich finde ihn nicht ganz zutreffend. Die junge Kölner Jüdin Louise Straus, die lieber Lou genannt werden wollte, lernte durch ihr Studium der Kunstgeschichte in Bonn Max Ernst kennen und lieben und geriet durch und mit ihm in Dadaisten- und Surrealistenkreise. Sie fungierte dort aber lediglich als Gastgeberin. Erstaunlich für mich, zu erfahren, dass Köln für kurze Zeit ein Zentrum des Dadaismus war, dass sich in der Wohnung des Ehepaares Lou und Max Leute trafen, deren Namen später zu den Größen des Literatur- und Kunstbetriebs gehörten.

Louise selbst promovierte zum Thema mittelalterliche Goldschmiedekunst und war nie Hausfrau, sondern immer an Kunst im engeren und weiteren Sinne interessierte. Zum Glück, möchte man sagen, denn trotz der Geburt des Sohnes Hans-Ulrich, Jimmy genannt, stand die Ehe unter keinem guten Stern. Max Ernst war zu sehr egomanischer Künstler, nur an seiner Kunst interessiert und vor allem an anderen Frauen, so z.B. an Gala, der Frau seines engen Freundes Paul Éluard. Wegen ihr verließ er seine kleine Familie, ließ sich in Paris nieder und Lou musste von nun an alleine zurecht kommen, auch finanziell. Gut, dass sie ihren Beruf hatte, gut, dass sie sich rasch zu einer gefragten Journalistin entwickelte, die für viele Museen, Zeitungen und Zeitschriften schrieb, gut, dass sie eine starke und optimistische Frau war.

Leider zogen dunkle Wolken am Horizont auf und mit meiner Vorstellung, die Kölner wären nicht so anfällig für den Nationalsozialismus gewesen, räumt diese Biographie gründlich auf. Schon sehr früh zeigten sich antisemitische Tendenzen, obwohl doch in Köln so viele Juden gut integriert lebten, echte Kölner waren, so auch Lou, die sich gar nicht vorstellen konnte, dass es wirklich zum Schlimmsten kommen könnte.

Erst als auch sie ihren Beruf nicht mehr ausüben durfte, siedelte sie nach Paris über, erst mal ohne den Sohn, der bei den jüdischen Großeltern blieb, eine mir unverständliche Entscheidung, denn auch das Kind hatte unter Repressalien zu leiden. Das Leben in Paris, von Flüchtlingen überschwemmt, war schwierig. Das Buch beschreibt nicht nur eindringlich den zunehmenden Nationalsozialismus in Deutschland – ist also ebenso Zeitdokument wie Biografie – sondern auch das schwere Leben von Exilanten in Frankreich. Louise allerdings war von unerschütterlichem Optimismus und stürzte sich in zahlreiche Liebschaften, stand ihrem Exmann darin um nichts nach.

Die Lage spitzte sich zu, Kriegsausbruch, immer weitere Ausbreitung der deutschen Nationalsozialisten in Europa, immer drängendere Gefahr nicht nur für Juden, sondern für alle Deutschen in Frankreich, auch wenn sie erwiesenermaßen antifaschistisch waren, auch das wieder eine geschichtliche Lücke, die ich hier schließen konnte.

Während Sohn Jimmy es geschafft hatte, nach Amerika zu emigrieren, verhedderte sich Lou in bürokratischen Pass- und Visa-Angelegenheiten und in ihrer eigenen Unentschlossenheit. Sie stirbt in Auschwitz.

Vieles bleibt gegen Ende der Biografie rätselhaft bzw. unaufgeklärt. Der Nachlass von Sohn Jimmy Ernst ist noch nicht freigegeben. Aber es ist auch so beachtlich, was die Autorin Eva Weissweiler recherchiert und zusammengetragen hat. Sie zitiert aus der bruchstückhaften Autobiografie 'Nomadengut' der Louise Straus-Ernst, aus Jimmys Erinnerungen 'Nicht gerade ein Stilleben - Erinnerungen an meinen Vater Max Ernst' und hat zahllose Briefe, Zeitungsartikel und Geschichten von Lou untersucht und in dieser Biografie verarbeitet und minutiös belegt.

Alles in allem: die Geschichte einer mutigen, starken Frau und ein beeindruckendes Zeitdokument.

Mögliche Folgelektüre:

Louise Straus: Eine Frau blickt sich an – Reportagen und Erzählungen 1933 - 1941, Hrsg. Max Ernst Museum Brühl des LVR
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