Cover des Buches Tayfun (ISBN: 9789963527335)
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Rezension zu Tayfun von Evelyn Barenbrügge

Tayfun - Kein lustiges Leben

von fantafee vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Leseempfehlung für Histo-Fans mit starken Nerven

Rezension

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fantafeevor 9 Jahren

Tayfun ist der zweite historische Roman von Evelyn Barenbrügge und ist 2015 bei bookshouse erschienen.


Die Handlung beginnt im ausgehenden 18. Jahrhundert und spielt im Kaiserreich Österreich / Ungarn. Der Roma-Junge Leandro Lovare wird, um ihn dem Zugriff der Behörden zu entziehen, direkt nach seiner Geburt in die Obhut seiner Urgroßmutter Gasko gegeben. Diese zieht ihn in einer abgelegenen Höhle im Bihorgebirge groß und lehrt ihn die Sitten und Gebräuche seiner Sippe. Als seine Baba Gasko im tiefsten Winter stirbt, macht sich der gerade mal 10 Jahre alte Junge auf den Weg seine Familie zu finden. Auf seinem langen entbehrungsreichen Weg findet er Menschen, die ihm gutes tun, gerät in die Wirren des Bauernaufstandes in Siebenbürgen, wird völlig paralysiert von Soldaten aufgegriffen und in einem Kloster gesund gepflegt. Sein unbändiger Drang seine Familie zu finden und frei zu sein, bringt ihn in die Hauptstadt des Reiches, Wien. Hier lernt er Tom Held kennen, ein Kriegsveteran der kaiserlichen Armee, der sich in Wien als ‚König der Diebe‘ sein heimliches Imperium aufgebaut hat. Tom möchte den Jungen, der mittlerweile wegen seiner Schnelligkeit von allen nur Tayfun genannt wird, bei sich aufnehmen....


Die Geschichte beginnt in zwei getrennten Erzählsträngen der beiden Hauptprotagonisten, Leandro Lovare und Tom Held.


Es beginnt mit der Geschichte um Leandro, wie seine Eltern im Wohnwagenlager in Großwardein ankommen, seine Geburt und die Flucht mit seiner Urgroßmutter. Sofort ist man mit im Geschehen und ist neugierig auf das was kommen wird. Es werden passende Begriffe aus dem Romani-Dialekt verwendet, die sich sehr gut aus dem Kontext erklären lassen und der Erzählung eine gewisse Farbigkeit verleiht. Die Personen sind sympathisch und ihre Beweggründe schlüssig. Für mich ein gelungener Anfang. Mit erwachtem Lesehunger machte ich mich ans nächste Kapitel. Die zweite Hauptperson Tom Held, der zwölfjährige Sohn eines arbeitslosen Säufers und einer überlasteten und kaltherzigen Mutter, der bitter enttäuscht von allen Erwachsenen beschließt sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Leider gestaltete sich die Kennenlernphase mit Tom für mich sehr schwierig. Er wirkte unsympathisch, seine Beweggründe und Reaktionen leicht unrealistisch oder mir nicht logisch. Ich fühlte mich von der Figur distanziert.


Um so besser fühlt man sich mit Leandro in der Gebirgshöhle. Besonders sein kleiner, quirliger Freund, das Eichhörnchen Miko wächst einem ans Herz. Seite um Seite liest man sich tiefer in die Geschichte, lacht oder weint mit den Menschen. Und die für mich anfänglich holprige Geschichte um Tom Held kommt langsam in Fahrt, und spätestens als dieser das wahre Herz der Frauen entdeckt, hat man ihn ins Herz geschlossen.

Dass sich die beiden Hauptfiguren irgendwann treffen würden war klar. Dass es aber relativ spät geschieht, hat für mich nur noch die Spannung gesteigert. Raffiniert sind beide Lebensläufe umeinander gewunden. Zeitweise scheint es als würden sich das eine Leben im anderen spiegeln. Schön ist, dass beide zum Ende offene Fragen beantworten können und somit bereit sind für ein neues, sicher aufregendes neues Kapitel. Eine Fortsetzung kann ich mir sehr gut vorstellen.


Die eingestreuten Zeitungsmeldungen aus der Zeit und das Gedicht schaffen eine angenehme historische Atmosphäre. Beim Lesen wird deutlich, dass die Autorin historische Personen und Ereignisse gründlich recherchiert hat. Für mich sehr interessant, weil ich aus dieser Epoche und geographischen Gegend noch nichts gelesen habe. Wie gewöhnlich, musste ich neben dem Lesen auch ausgiebig im Internet oder in Büchern nach recherchieren, Daten - Fakten - Bilder. So gestaltet sich mein Kopfkino noch detaillierter und farbiger.

Erzählt wird im personalen Stil, einfach und direkt (für Zartbesaitete vielleicht zu nah am Geschehen). Die wörtliche Rede zieht den Leser mitten ins Geschehen, lässt aber manchmal Beweggründe, Gedanken, Zweifel oder innere Kämpfe kaum oder nur schwach erscheinen. Ich hätte gerne mehr von den Personen erfahren und tiefer in ihre Köpfe und Herzen geschaut. Sicher hätte es den Rahmen für diesen jetzt schon 484-Seiten-starken Wälzer gesprengt, aber es ist schade, dass diese historisch interessante Geschichte geradewegs über ihre Möglichkeiten hinweg eilt. So wäre auch mehr Platz gewesen bei Konflikten länger darauf einzugehen. Probleme wurden schon in kürzester Zeit gelöst/aufgelöst. Für mich hätte es weniger historische Entwicklung und dafür mehr innere Entwicklung der Protagonisten sein können; oder gleich eine Trilogie daraus machen. Diesen Band in 1 und 2 geteilt und die von mir erhoffte Fortsetzung in einen dritten.

Das Cover gefällt mir grafisch gut, spiegelt aber durch seine dunklen Farben nicht das Gefühlt wider, das es bei mir hinterlassen hat: farbig, lebhaft, neben drückendem Dunkel helles Licht. Licht und Schatten und viele Farben dazwischen.




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