Cover des Buches Der Sommer, in dem wir das Leben neu erfanden (ISBN: 9783458176718)
Buecherschmauss avatar
Rezension zu Der Sommer, in dem wir das Leben neu erfanden von Fabio Genovesi

Überwürzt

von Buecherschmaus vor 8 Jahren

Rezension

Buecherschmauss avatar
Buecherschmausvor 8 Jahren
Es ist ein Moderezept: nimm ein paar schräge Gestalten, am besten auch ein oder zwei Kinder, die es auf die ein oder andere Art und Weise nicht leicht haben in ihrem Leben, bevorzugt klassische Außenseiter, gerne auch einen skurrilen Alten und fürs Herz noch eine Frau und einen Mann, packe sie alle in ein Auto, dieses möglichst klapprig und schicke sie mit ihren Problemen und Marotten auf einen mehr oder weniger motivierten Roadtrip.
Im besten Fall kommt dabei eine witzige, tiefsinnige, bunte und herzanrührende Geschichte heraus. Wie bei „Little Miss Sunshine“, womit der Verlag das Buch von Fabio Genovesi bewirbt. „Little Miss Sunshine a la Italiana“. Das tut dem Buch nicht gut, denn da hängt die Latte nicht nur ganz weit oben, sondern es lässt auch eine Geschichte erwarten, die das Buch so nicht erzählt. Denn aus den 1600 km der Miss Sunshine werden hier ungefähr 20, ein kleiner Ausflug, aufgebläht durch einen dreistündigen Stau.
Auch sonst lässt sich im direkten Vergleich sehr genau erklären, warum das Buch nicht recht überzeugen kann.
Fabio Genovesi nimmt sich viel Zeit, um sein Personal vorzustellen: das Mädchen Luna, durch ihren Albinismus praktisch von Natur eine Außenseiterin, sonnen- und lichtempfindlich, liebt sie doch das Meer im Sommer über alles. Als zweites Kind Zot, der Junge aus Tschernobyl (warum Tschernobyl?, das hat für die Geschichte überhaupt keine Bewandtnis), auch er ein krasser Außenseiter, von den Mitschülern gemobbt und misshandelt. Dann dessen Zieh-Opa, ein Ausbund an Vulgarität und Menschenhass, ständig fluchend und nur ein trauriger Abklatsch des Opas von Little Miss Sunshine. Ferner noch mit im Auto die planlose Mutter Lunas, Serena, und der noch planlosere, sich von prekärem Job zu prekärem Job hangelnde Vierzigjährige Sandro, seit Jugendzeiten vergeblich verliebt in eben jene Serena.
Ein halbes Jahr nach dem tödlichen Surfunfall von Lunas Bruder Luca soll der Ausflug zu einer Ausgrabungsstätte die mehr oder minder traumatisierten Figuren „ihr Leben neu erfinden lassen“ und Sandro Serenas Herz gewinnen. Wie es dazu kam, ist genauso abstrus, wie das bereits geschilderte.
Und das ist genau der Punkt, an dem das Buch krankt: zu keinem Zeitpunkt können Personal oder Handlung wirklich überzeugen. Sitzen bei Little Miss Sunshine auch sechs sehr skurrile Typen im VW-Bus, so sind diese Menschen doch zutiefst glaubhaft. Und sie machen vor allem im Gegensatz zu Genovesis Personal auch eine Entwicklung durch, zeigen Nuancen. Das winzige Überdrehen der Schraube schafft Komik, das Weiterdrehen nur noch Klamauk.
Und dabei sind noch nicht einmal die völlig absurden Nebengeschichten erwähnt, die die sich der Autor viel zu oft verliert ohne dass sie für die Geschichte ein Gewinn wären. Sie lenken vom eigentlich zu Erzählenden ab, das Buch verliert seine Aussagekraft.
Denn die könnte der Roman durchaus haben. Erzählt er doch vom Kampf von Menschen, die anders sind als die Masse, von Trauer und der Suche nach dem eigenen Weg. Meist zwischen den Zeilen versteckt gelingen dem Autor wunderbare kleine Beobachtungen, manchmal poetisch, oft auch gesellschaftskritisch oder politisch, witzig, mitunter leicht zynisch. Von diesen Stellen wünscht man sich mehr, möchte sie im Vordergrund und das ganze Kuriositätenkabinett dahinter verschwindend. Sie beweisen, dass der Autor genau beobachten und treffend formulieren kann. Auch der Aufbau und die wechselnden Erzählperspektiven (ER, ICH und DU für Sandro, Luna und Serena) zeigen, dass in Fabio Genovesi viel Potential steckt. Im ersten Teil des Buches und sogar beim Happy End nimmt das Buch den Leser durchaus für sich ein. Leider verschenkt es dazwischen zu viel an übertrieben aneinander gereihte Skurrilitäten, unentschlossene Handlungsführung und unnötige Vulgaritäten. Manchmal ist es eben besser ein Rezept nicht durch ein Zuviel an Zutaten verbessern zu wollen.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks