Rezension zu "Salten, F., Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Walde (Vollständige Ausgabe)" von Felix Salten
FeatherstoneInhalt:
Das kleine Rehkitz Bambi wird mitten in tiefsten Dickicht geboren. Mit seinen Freunden Faline und Gobo erlebt er zunächst eine weitgehend sorglose Kindheit. Gemeinsam lernen sie die Welt kennen und ergründen die kleinen und großen Geheimnisse des Waldes. Jedoch müssen sie bald auf schmerzliche Weise erfahren, dass das Leben im Wald nicht nur friedlich verläuft, sondern auch große Gefahr droht und ihnen dramatische Geschehnisse bevorstehen...
Er fühlte sich von etwas Dunklem bedroht, er verstand nicht, wie die anderen so heiter und sorglos sein konnten, wenn doch das Leben so schwer und gefährlich war. In dieser Stunde ergriff ihn das Verlangen, weit fortzugehen, immer tiefer und tiefer in den Wald hinein. (S. 69)
Meine Meinung:
Die Idee ein komplettes Buch ausschließlich aus der Sicht von Tieren zu erzählen ist außergewöhnlich und besonders. Ich gehe davon aus, dass es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahr 1922 kaum Bücher mit dieser Grundidee gegeben hatte. Der Schreibstil ist wunderschön und ansprechend. Der Wald wird sehr atmosphärisch, anschaulich und detailreich beschrieben, weshalb man sich beim Lesen richtig in die Natur hineinversetzt fühlt. Man hat beim Lesen den Eindruck, dass man die Liebe des Autors zur Natur und den Tieren spüren kann.
Man findet leicht in die Lebenswelt der Tiere hinein und kann die Gedanken und die Gefühle von Bambi und all den anderen Tieren sehr gut nachvollziehen. Zum Beispiel wird Bambis Kindheit und wie er den Wald entdeckt sehr einfühlsam und mit Liebe zum Detail beschrieben: Er hält anfangs Schmetterlinge für geheimnisvolle, fliegende Blumen. Auch die Begegnungen mit all den anderen Waldbewohnern (z.B. Igel, Waldkauz, Hase…) sind für ihn aufregend und neu. Außerdem kommt er kaum aus dem Staunen heraus als er zum ersten Mal auf einer Wiese steht und die unglaublichen Ausmaße des blauen Himmels erkennt und spürt wie es sich anfühlt mitten im strahlenden Sonnenschein zu stehen. Insgesamt wird ein recht realistisches Bild vom Leben der Tiere gezeichnet und der tägliche Überlebenskampf wird nicht beschönigt.
Die Geschichte ist stellenweise sehr dramatisch und traurig. Obwohl auch der gleichnamige Disney-Zeichentrickfilm einige solche Geschehnisse zeigt, finde ich das Buch im Vergleich dazu noch düsterer und erschütternder. Sowohl im Buch als auch im Film macht einem das Schicksal von Bambis Mutter sehr betroffen. Darüber hinaus bricht im Buch auch noch über Herrn und Frau Hase und ihren Kleinen großes Unglück herein und auch Bambis Kindheitsfreund Gobo widerfährt Schlimmes.
Hervorheben ist auch wie gekonnt und eindrücklich die Gefahr beschrieben wird, die von den Menschen ausgeht. Diese Gefahr wird beim Lesen richtig greifbar. Die Tiere nennen den Menschen ausschließlich „Er“. Bereits die ungewöhnliche und unverwechselbare Witterung, die von „Ihm“ ausgeht, löst bei ihnen große Ängste aus. Da die Tiere die Funktionsweise eines Gewehres nicht kennen, ist es für sie absolut unerklärlich und zutiefst erschreckend, dass „Er“ bewirken kann, dass Vögel tot vom Himmel fallen und ihre Artgenossen auch in großer Distanz noch der Tod ereilen kann. Auch die Fähigkeit von „Ihm“ die Laute mancher Tiere nachzuahmen und sie so in eine tödliche Falle zu locken wird einigen von ihnen beinahe zum Verhängnis.
Die Geschichte regt zum Nachdenken darüber an wie der Mensch mit der Natur umgeht und hinterlässt ein Gefühl der Beklemmung. Das Grauen der Treibjagd wird sehr eindringlich beschrieben. Man ist mittendrin wenn alle Tiere – ungeachtet ob Raubtier oder Beutetier – bis zur Erschöpfung um ihr Leben rennen und sich gezwungen sehen verletzte Freunde zurückzulassen um so zumindest ihr eigenes Leben zu retten. Es bleibt einem auch in Erinnerung wie entsetzt die Tiere sind als eine alte Eiche von den Menschen gefällt wird, die eine solche Konstante in ihrer aller Leben gewesen ist.
Zugleich gibt es aber auch schöne und hoffnungsvolle Momente: Zusammenhalt, Freundschaft, Liebe, Mut und Überlebenswille werden thematisiert. Außerdem geht es darum Schönes und Gutes auch in den kleinen Dingen des Lebens zu erkennen und darum Mut aus der Überzeugung zu schöpfen, dass auch auf schwere Zeiten irgendwann wieder bessere folgen werden.
Ein weiteres wichtiges Thema der Geschichte ist das Erwachsenwerden. Man erlebt wie Bambi seinen Erfahrungshorizont erweitert und immer mehr über die Welt um ihn herum lernt. Er schließt Freundschaft mit den Rehkitzen Gobo und Faline und muss lernen Stück für Stück unabhängiger von seiner Mutter zu werden. Er lernt, dass es Jahreszeiten gibt und auf die wunschschöne Zeit des Sommers der bitterkalte Winter folgt, der ihm große Entbehrungen abverlangt. Bambi verliebt sich schließlich in Faline und der Kreis schließt sich indem Bambi selbst zum Fürst des Waldes wird, den er als Kind immer so sehr bewundert und mit Ehrfurcht bedacht hatte.
Zum Schluss möchte ich noch die wunderschönen Illustrationen von Hans Bertle erwähnen, die die Geschichte perfekt ergänzen.
Fazit:
Es handelt sich um eine herzerwärmende, rührend und schöne Geschichte, die aber stellenweise auch unglaublich traurig und dramatisch ist. In dieser Geschichte steckt mehr als es auf den ersten Blick scheint und es gibt auch einige nachdenklich stimmende Stellen. Meiner Meinung nach ist es kein Kinderbuch, sondern eines für Erwachsene. Die Geschichte ist aufgrund ihrer atmosphärischen, eindrücklichen und gefühlvollen Schilderungen auf jeden Fall sehr zu empfehlen und bleibt einem in Erinnerung.
Übrigens kann ich denjenigen denen dieses Buch gefällt, auch das Buch „Perri“ empfehlen, das ebenfalls von Felix Salten geschrieben wurde. Es ist einige Jahre später als „Bambi“ erschienen ist. Darin steht ein kleines Eichhörnchen namens Perri im Mittelpunkt und es gibt einen kurzen Gastauftritt von Bambi.
Zum Schluss noch ein besonders schönes Zitat in dem es darum geht wie Bambi als kleines Rehkitz noch keinen Begriff von der Zeit hat und versucht zu verstehen was „bald“ bedeutet:
„Bald.“ Er kam zu dem Ergebnis, „bald“, sei gewiss nicht „gleich“. Aber er wurde sich nicht einig darüber, in welcher Zeit dieses „bald“ aufhöre, „bald“, zu sein und anfange, „lange“ zu werden. (S. 14)