Cover des Buches Verbrechen (ISBN: 9783898138598)
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Rezension zu Verbrechen von Ferdinand von Schirach

Rezension zu "Verbrechen" von Ferdinand von Schirach

von Leserrezension_2009 vor 15 Jahren

Rezension

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Eingereicht von Loretta: Auf dem Autorenfoto sieht man einen nachdenklich blickenden Mann mit feinen Zügen und schütterem Haar. Die gewollt lässige Zigarette im Mundwinkel mag nicht recht zum doch eher noblen Erscheinungsbild passen. Im Klappentext lese ich dann, dass zur illustren Schar seiner Mandanten auch “ Angehörige der Unterwelt “ gehören. Etwas reißerisch vom Verlag, denke ich einerseits, aber auch interessant. Ein Strafverteidiger der das Leben in allen Gesellschaftsschichten erfahren hat. Ferdinand von Schirach ist der Enkel von Baldur von Schirach, Gauleiter von Wien im dritten Reich. Dieser war verantwortlich für Massendeportationen österreichischer Juden -kein leichtes Erbe. Angesprochen auf seinen Großvater sagte er einmal, dass er nie verstehen konnte, wie dieser so feinsinnige, differenzierte und gebildete Mann der Stumpfsinnigkeit der Nazis verfallen konnte. Der Enkel nun ist ein angesehener und erfolgreicher Strafverteidiger geworden. Seine kuriosesten Fälle hat er in 11 eindrücklichen Kurzgeschichten aufgeschrieben. Da bringt eine junge Frau ihren durch einen Unfall pflegebedürftig gewordenen, innig geliebten Bruder um, da er immer mehr geistig und körperlich zerfällt. Eine vordergründig schreckliche Tat. Von Schirach erzählt den langen Weg zur Tat aus Sicht der Täter. Wie die Geschwister zu einer unzertrennlichen Einheit unter ihrem tyrannischen Vater werden. Wie es ihnen gelingt aus seinem Einflussbereich auszubrechen. Die kurze Zeit der Freiheit und des unbeschwerten Glücks und das jähe, grausame Ende durch den Unfall. Die Schwester kann das Leid ihres Bruders, und dass er sie nie mehr als seine Schwester erkennen wird, ertragen. Man ahnt bereits, dass sie ihm bald in den Tod folgt. Er erzählt von einem Mann, der in seiner Adoptivfamilie nie geliebt wird, früh als Versager abgestempelt wird, beruflich über eine unglückliche Verkettung von Ereignissen in die Kleinkriminalität abrutscht. In Äthiopien findet er endlich doch sein berufliches und privates Glück. Sogar ein ganzes Dorf holt er durch sein handwerkliches Geschick aus der Armut. Doch dann scheinen ihn die Schatten der Vergangenheit wieder einzuholen und er gerät in eine scheinbar ausweglose Situation. Von Schirach erzählt klar, nüchtern, dokumentarisch genau. Die Abläufe der Tat, aber auch die Beweggründe, die Gefühle und Bilder der Protagonisten. Dadurch zieht er den Leser in die großen und kleinen Abgründe des Lebens hinein. Wie schnell und gut nachvollziehbar kann ein jeder straffällig werden Das ist das Spannende an seinem Buch. Vergehen aus allen Schichten; tragisch, komisch, immer sehr berührend. Am Ende ist oft nicht mehr klar, wer Opfer, wer Täter ist. Die Wirklichkeit ist eben viel komplexer als die plakativen Schlagzeilen in den Medien. Der Autor hat sich immer dann für einen Fall interessiert, wenn nicht kaltblütig gehandelt wurde, sondern wenn die Tat fast logische Konsequenz einer zusammenhängenden Vorgeschichte war. Vielleicht bietet das Leben manchmal wirklich die besten Geschichten. Ferdinand von Schirach erzählt diese eindrücklich in seinem lesenswertem Debut ohne die Täter zu entschuldigen. Auch gewährt er authentische Einblicke in unsere Rechts- und Strafordnung. Der Mensch und seine Beweggründe bleiben beim Strafmaß entscheidend .
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